Nachweis und Zuordnung
Die Attributions-Forschung liefert wichtige Entscheidungsgrundlagen für die Planung von Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen.
Eine zentrale Methode in der Klimaforschung
Dem Nachweis von Klimawandelsignalen in Messdaten und dem Feststellen des anthropogenen Anteils am Klimawandel und dadurch verursachten Extremereignissen ist ein eigener Forschungszweig gewidmet. Die dafür verwendeten Untersuchungsmethoden sind für die Klimaforschung unverzichtbar. Hier gibt es einen kurzen Einblick in die Methodik.
Was genau leisten Nachweis und Zuordnung?
Nachweis und Zuordnung (im Englischen detection and attribution) machen Aussagen über das Ausmaß von Klimavariationen und ihre Ursachen. Sie untersuchen die Zusammenhänge zwischen externen Einflussfaktoren (Antrieben) des Klimawandels und den tatsächlich beobachteten Veränderungen in den Klimamessungen. Es ist die zentrale Methode, auf der etwa Ergebnisse des IPCC-Sonderberichts „1,5 °C Globale Erwärmung“ basieren. Externe Faktoren sind nicht Teil des eigentlichen Klimasystems, zu ihnen zählen bspw. Vulkanausbrüche, die Schwankungen der Solarstrahlung und der Mensch mit seinen klimarelevanten Aktivitäten, etwa Treibhausgas-Emissionen.
Beim Nachweis (engl. detection) des Klimawandels wird untersucht, ob das Klima selbst oder ein anderes, durch das Klima beeinflusstes System (bspw. ein Ökosystem), sich statistisch nachvollziehbar verändert hat: In Klimamessreihen wird eine Veränderung nachgewiesen, indem die Wahrscheinlichkeit für ihr zufälliges Auftreten nach exakt festgelegten statistischen Kriterien bestimmt wird. Ist diese Wahrscheinlichkeit kleiner als ein bestimmter Schwellwert, dann liegt die Veränderung nicht im Rahmen der internen Variabilität des Klimasystems. Die Ursache der somit erkannten Klimaveränderung kann dabei jedoch nicht angegeben werden.
Im Rahmen der Zuordnung (engl. attribution) wird der relative Anteil mehrerer ursächlicher externen Einflussfaktoren (Antrieben) einer Klimaänderung oder eines Ereignisses bewertet. Die Zuordnung der Klimaveränderungen zu bestimmen Ursachen ist komplexer als der Nachweise, sie verknüpft statistische Analysen mit naturwissenschaftlichem Wissen bspw. in der Physik, Hydrologie und Chemie. Mittlerweile ist der Begriff „Attribution“ auch im deutschen Sprachraum gängig.
Wie kann eine bestimmte Ursache dem Klimawandel zugeordnet werden?
Vermutete ursächliche Faktoren des Klimawandels werden in Attributions-Studien überwiegend mittels physikalischer Klimamodelle dahingehend untersucht, ob sie tatsächlich den beobachteten Klimawandel verursachen. Dabei werden für jeden solchen Faktor die Ergebnisse von zwei ganz speziell konzipierten Klimamodell-Simulationen mit klimawandelrelevanten Messungen, zB der bodennahen Lufttemperatur, verglichen: In der ersten Modellierung wird der fragliche Faktor, bspw. eine von uns Menschen verursachte Zunahme des atmosphärischen Treibhausgas-Gehalts, mit einbezogen, in der anderen jedoch nicht. Die verwendeten Klimamodelle sind ansonsten vollkommen identisch, sie entsprechen – einfach gesagt – jeweils einer Welt MIT Klimawandel und einer Welt OHNE Klimawandel. Sofern die Lufttemperatur-Messungen mit den Simulationsergebnissen der ersten Modellierung - nach vorher genau festgelegten statistischen Kriterien - in Einklang stehen, den Ergebnissen der zweiten Modellierung jedoch widersprechen, kann der untersuchte Faktor, in diesem Fallbeispiel die anthropogen verursachte Zunahme des atmosphärischen Treibhausgas-Gehalts, als ein verursachender Faktor dem Klimawandel zugeordnet werden. Es sei explizit erwähnt, dass hier in der Regel nicht die Messungen einzelner Klimastationen untersucht werden, sondern bspw. die mittlere globale Oberflächentemperatur oder die mittlere Oberflächentemperatur für eine bestimmte Region. Durch diesen Untersuchungsansatz der zwei ansonsten vollkommen identischen Modellierungen, die sich lediglich hinsichtlich des fraglichen Faktors unterscheiden, können zwei wichtige Aspekte berücksichtigt werden: Die natürliche (interne chaotische) Variabilität im Klimasystem sowie die bekannten Unsicherheiten in a) den Messungen (bspw. zufälliger Messfehler) sowie in b) den konkreten Reaktionen des Klimasystems auf externe Einflussfaktoren.
Funktioniert die Zuordnung trotz der bekannten Schwächen von Klimamodellen?
Die in Attributions-Studien verwendete Methodik kann damit umgehen, dass kein Klimamodell jeden Aspekt der Reaktion des Klimasystems auf einen verursachenden Faktor ganz exakt simulieren kann oder jemals können wird. Durch den Vergleich der Modellergebnisse mit und ohne externen Antrieb sind die relativen Änderungen dem Antrieb zuordenbar. Dadurch ist z.B. der gemessene Temperaturanstieg den anthropogenen Treibhausgasemissionen zuordenbar, auch wenn die absoluten Temperaturwerte in den Modellergebnissen von der Messung abweichen. Abweichungen in den absoluten Werten können sowohl durch die interne Variabilität im Klimasystem und damit einhergehenden Unsicherheiten verursacht werden als auch auf Schwächen des Modelles hinweisen.
Wie kann die Zuordnung von Extremereignissen erfolgen?
Da sich viele Klimawandelfolgen als Extremereignisse wie bspw. Hitzeperioden, Starkregenereignisse und Hochwasserereignisse zeigen, ist es sehr wichtig zu wissen, wie groß der Anteil von uns Menschen und von anderen externen Faktoren daran ist. Es gibt dafür zwei unterschiedliche Ansätze: Die „Risiko-Zuordnung“ untersucht, ob und wie ein fraglicher Faktor, bspw. ein erhöhter Treibhausgasgehalt in der Atmosphäre, die Auftritts-Wahrscheinlichkeit für ein Extremereignis einer bestimmten Größenordnung verändert hat. Die „Magnituden-Zuordnung“ untersucht a) den Beitrag mehrerer externer Faktoren zu einem Extremereignis oder b) wie ein konkreter externer Faktor die Größenordnung eines bestimmten Extremereignisses erhöht hat, dessen Auftritts-Wahrscheinlichkeit dagegen gleichbleibt.
Erst seit Mitte der 1980er-Jahre zeigt sich in den Temperaturmessungen das Signal eines anthropogenen Einflusses. Für einzelne Extremereignisse wie bspw. regionalen Hitzeperioden mit größeren Wiederkehrintervallen als 50 Jahre kann daher eine Veränderung der Auftritts-Häufigkeit in den Messreihen noch gar nicht direkt beobachtet werden. Deswegen muss die Attribution eines Extremereignisses mit einem größeren Wiederkehrintervall im Rahmen eines Mehrschritte-Verfahrens erfolgen:
- Erster Schritt: Der Trend wird in der Auftrittswahrscheinlichkeit eines Extremereignisses mit kürzerem Wiederkehrintervall oder in einer, das Extremereignis beeinflussenden Variablen (bspw. Lufttemperaturmittel) bestimmt.
- Wird ein Trend gefunden, wird in einem zweiten Schritt statistisch oder über Nutzung eines physikalisch basierten Wettermodells der anthropogene Einfluss auf das untersuchte Extremereignis (bspw. eine Hitzeperiode) geprüft. Im Fall der Ableitung über eine andere Variable ist gesichertes Wissen darüber notwendig, dass ein und welcher Zusammenhang zwischen Extremereignis und gewählter Variable besteht.
Die beiden grundlegenden Ansätze der Risiko-Zuordnung und der Magnituden-Zuordnung werden oft auch in Kombination verwendet, um Aussagen über die Veränderung sowohl der Auftritts-Wahrscheinlichkeit als auch der Größenordnung eines Extremereignisses treffen zu können. Ein Beispiel dafür zeigt die Abbildung 1.
Friederike Otto und ihre Coautoren hatten die Hitzewelle vom Juli 2010 in Westrussland mittels einer kombinierten Methode der Risiko- und Magnituden-Zuordnung untersucht. Diese Studie wird auch im 2021 veröffentlichten Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) zitiert und zeigt eine deutliche Erhöhung sowohl der Größenordnung als auch der Auftritts-Wahrscheinlichkeit dieses Extremereignis am Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts (siehe Abbildung 1): Im Vergleich zu den 1960er-Jahren, also in einer Zeit vor dem Sichtbarwerden des anthropogenen Einflusses in den Temperaturmessungen, übertrifft die Hitzewelle im Juli 2010 die Juli-Mitteltemperatur in Westrussland um knapp 6° C, die Größenordnung eines solchen Extremereignisses mit einem Wiederkehrintervall von 33 Jahren nimmt um ca. 1,5° C zu und die Auftritts-Wahrscheinlichkeit nimmt im Vergleich zu den 1960er-Jahren ebenfalls deutlich zu (Verkürzung des Wiederkehrintervalls von 99 auf 33 Jahre).
Seit dem Fünften Sachstandsbericht hat sich die Attribution von Extremereignissen zu einem stark wachsenden Forschungsfeld entwickelt. Der Sechste Sachstandsbericht des IPCC gibt einen Überblick über den aktuellen Wissensstand: Global betrachtet sind nicht alle Regionen - vor allem in Entwicklungsländern - hinsichtlich der Attribution von Extremereignissen gleich gut untersucht. Einer der Gründe ist die zu geringe Verfügbarkeit von Messdaten. Für Temperatur-Extremereignisse, die ganze Kontinente betreffen zeigen die Untersuchungen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit der Mensch den Hauptbeitrag zum Anstieg von Intensität und Häufigkeit von Hitzeereignissen und zu einer verringerten Intensität und Wiederkehrrate von Kälteereignissen leistet. Ebenso hat die menschliche Einflussnahme auf kontinentaler Maßstabsebene mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verstärkten Starkniederschlägen in Europa, Nordamerika und Asien beigetragen, wo auch die Verfügbarkeit an den erforderlichen Messdaten am größten ist. Auch bei einzelnen regionalen Starkniederschlags-Ereignissen erweist sich der menschliche Einfluss als signifikanter Faktor. Aussagen über Trends von regionalen Dürre-Ereignissen aufgrund anthropogener Beeinflussung sind noch mit großen Unsicherheiten behaftet, Studien weisen allerdings den Beitrag des Menschen zur Schwere einzelner Dürre-Ereignisse als wahrscheinlich aus. Auch ist es wahrscheinlich, dass der anthropogen verursachte Klimawandel sich in Form ansteigender Trends von Intensität bzw. Auftritts-Wahrscheinlichkeit von Dürren in der jüngeren Vergangenheit auswirkt, welche für Landwirtschaft und Ökosysteme relevant sind. Hinsichtlich einer Intensivierung tropischer Wirbelstürme aufgrund menschlicher Beeinflussung sind die Belege noch begrenzt, die Zunahme der Niederschlagsmenge steht jedoch mit hoher Wahrscheinlicht in Zusammenhang mit uns Menschen und unseren Aktivitäten.
Mitte Juli 2021 verursachten extreme Regenfälle in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg schwere Überschwemmungen, die mindestens 220 Menschenleben forderten und schwere Infrastruktur-Schäden bewirkten. Eine kurz danach durchgeführte Attributionsstudie zeigt unter anderem, dass anthropogen verursachter Klimawandel mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl die Intensität als auch die Auftritts-Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis erhöht hat.
Die Attributions-Forschung ist äußerst hilfreich bei der Klimawandel-Anpassung
Angesichts der schwerwiegenden Folgen von Rekord-Hitzewellen für die Gesundheit der Bevölkerung sehen Attributions-Forscherinnen und -Forscher allerdings mittlerweile die Notwendigkeit, die Zielsetzung ihrer Untersuchungen in diesem Bereich neu auszurichten: Die Fragestellung (wie sie zB der weiter oben dargestellten Untersuchung von Friederike Otto und ihren Coautoren hinsichtlich der extremen Hitze in Westrussland im Juli 2010 zugrunde liegt), ob die folgenschwersten Hitze-Ereignisse der Gegenwart auch in Zeiten vor dem aktuellen Klimawandel möglich gewesen wären, verlieren mehr und mehr an praktischer Relevanz. Die neue Attributions-Forschungsfront ist die Bereitstellung von Entscheidungsgrundlagen für die erforderlichen Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen angesichts noch nie dagewesener zukünftiger Hitzewellen. Der Grund dafür ist, dass sich die menschliche Gesellschaft Schritt für Schritt dem Klimawandel anpasst. Ist die Attributions-Forschung in der Lage, die Rate des Auftretens von Extremereignissen zu bestimmen, kann bei der Klimawandel-Anpassungsplanung auch die Geschwindigkeit des Klimawandels mitberücksichtigt werden. Daraus ist nämlich ableitbar, ob bzw. wie lange noch gegenwärtige Anpassungsmaßnahmen auch in einem noch wärmeren zukünftigen Klima ausreichend sein werden.
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