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27.02.2023

Vor 255 Jahren – Das Wiener Neustädter Erdbeben

Am Mittwoch, den 27. Februar 1768 bebte gegen 2h45 MEZ die Erde in Niederösterreich. Dieses Erdbeben war das stärkste bekannte Beben im Raum Wiener Neustadt mit einer Epizentralintensität von 7° EMS-98 und einer geschätzten Magnitude 5. Es verursachte im Epizentralbereich erhebliche Schäden.

Systematische Schadenserhebung

Dieses Erdbeben fiel in eine Periode des aufgeklärten Absolutismus, was sich sehr positiv auf die Berichterstattung über das Beben und dessen Rekonstruktion auswirkte. Anlässlich des Erdbebens beauftragte Maria Theresia ihren Hofmathematiker Joseph Anton Nagel (1717-1794) die Erdbebenwirkungen in Niederösterreich zu erkunden. Diese systematische Schadenserhebung war ein Novum im damaligen Österreich.

Nagel bereiste das Schadensgebiet um Wiener Neustadt, befragte Augenzeugen des Bebens und zeichnete die Schäden in den folgenden Orten auf: Baden, Bad Vöslau, Gainfarn, Enzersfeld, Wöllersdorf, Brunn am Steinfeld, Wiener Neustadt, Stixenstein, Puchberg, Reichenau, Neunkirchen und Neusiedl am See.

Über Wiener Neustadt etwa berichtete er folgendes: „[…] sechs verschiedene Erschuetterungen allda sind beobachtet worden […] Durch die Erste, welche nach Meynung einiger bis eine Minute soll gedauert haben, sind die Gewoelbe und andere Gemaeuer durch die ganze Stadt so sehr zerrissen worden, daß selbige theils eingestuerzt sind, theils um groeßeres Unglueck zu verhueten, abgetragen werden mueßen. Doch sind die Inwohner noch so gluecklich gewesen, daß keiner von ihnen dadurch am Leibe ist beschaediget worden. In der Mitte der Pfarrkirche hat man Schranken machen mueßen, um dadurch die sich allda einfindenden vor dem sich etwa ereignen moegenden Einsturze des darueber hangenden hoechst baufaelligen Gewoelbes zu bewahren. Und in der Militärschule ist die aeußere gegen Mittag stehende Hauptmauer, welche unter allen am mehresten gelitten hat, bis 2 ½ Zoll von ihrer alten Richtung abgewichen.“ (Quelle: Nagel, J. (1768). Ausführliche Nachricht von dem am 27ten Hornung dieses laufenden Jahrs 1768. in und um Wien erlittenen Erdbeben, … MJER, S. 1–24, Wien.)

Die Begutachtung der Erdbebenschäden in Wiener Neustadt wurde durch eine vom Bürgermeister einberufene Kommission durchgeführt und die geschätzten Verluste in einer „Specification deren kleineren bürgerl. Partheyen / Verzeichnis erlittener Schäden durch Viehseuche und Erdbeben” eingetragen (Quelle: St. Arch. Wr. Neustadt, Scrin. AI, Nr.14, Verzeichnis erlittener Schäden durch Viehseuche und Erdbeben 1767/68, vom 1. September 1768). In dieser Liste werden 192 Bürger genannt, die insgesamt 17.058 Gulden an Schaden erlitten hatten. Zum Vergleich ein Kleinhaus war damals für 20-80 Gulden zu kaufen.

Vor 255 Jahren – Das Wiener Neustädter Erdbeben

Abbildung: „Specification deren kleineren bürgerl. Partheyen / Verzeichnis erlittener Schäden durch Viehseuche und Erdbeben”. In dieser Liste wurden 192 Bürger genannt, die insgesamt 17.058 Gulden an Schaden erlitten hatten.

Zeitungsberichte – Wienerisches Diarium

Weitere zeitgenössische Beschreibungen des Bebens finden sich z.B. in der Ausgabe des „Wienerischen Diariums“ – 1703 gegründet, heute Wiener Zeitung – vom 19. März 1768, wo ein Schreiben eines Geistlichen aus dem Karmeliterkloster zu Wiener Neustadt zitiert wird: „[…] Es war halb 3 Uhr schon lang vorbey, da die Erde zu brüllen anfing und gleich darauf folgten ihre entsetzlichen Stöße, dann es war kein schutzendes, kein wiegendes, sondern ein von unten aufstossendes Erdbeben. Der Schrecken, das Geprassel von denen einstürzenden Rauchfängen, von den spaltenden Gewölben und Mauren, von denen über einander fallenden Mauren verursachte, daß man die Stöße nicht genau zu unterscheiden fähig war, obschon einige 12. bis 15. derselben wollen gezehlet haben. Ich nehme es als ein Geschenk Gottes, daß ich diesem Greul der Verwüstung nicht mit eigenen Ohren gehöret, sondern erst durch das Klagegeschrey meiner Mitbürger erwachet bin. Doch auch bey mir war der Schrecken nicht gering, als ich die Ursach desselben vernahm, wir irreten auf unseren Gängen herum, und sobald wir Licht bekommen, sahen wir, wie nahe wir dem Tod gewesen; mein Bett war mit Gemählter bestreuet, und auf dem Hauptküß [Anm.: Kopfkissen] eines anderen Geistlichen, lagen hart an seinem Kopf schwere Stücke von dem herabgefallenen Maueranwurf, 4 Rauchfänge stürzten zum Theil ein, kein Gang, kein Zimmer ist, an welchen man nicht Hauptspaltungen wahrnimmt, und in meinem Zimmer hat es das Ansehen, als ob Donnerkeule kreuzweiß herum gefahren wären […] Eine Menge Volks eilte nach dem Platz zur Säule, um mit Gebeth und Wehgeschrey die Erbarmung Gottes anzuflehen, da sahe man auch viele in ihren Wägen, mit ihren Bedienten sitzen, die in ihren Wohnzimmern keine Sicherheit fanden  […] Durch die ganze Nacht hörte man das singend und betende Volk auf dem Platz, welcher auch angefüllet war von Wägen, die den Kranken und dem Frauenzimmer statt ihrer Betten dienten; wir, samt unserem P. Provincial krochen in unser kleines Gartenhaus, aber auch hierinn waren wir nicht sicher, dann gegen 9 Uhr Abends geschah eine abermalige gewaltige Erschütterung, welche bey denen Klosterfrauen zwey Gewölber einstürzete, und die schon gemachten Klüften in vielen Gebäuden erweiterte […]“

 

Spendenaufruf anno 1768

Da es nach dem Erdbeben vor allem an Geld mangelte, reiste der Wiener Neustädter Bürgermeister Johann Baptist Haggenmüller noch 1768 nach Wien, um bei Maria Theresia um die Bewilligung von Sammlungen in allen K. K. Erbländern anzusuchen. Die Regentin gestattete Sammlungen für die Geschädigten durchzuführen.

Geldspenden langten bis zum Jahr 1774 ein und beliefen sich auf 3234 fl (Gulden). Diese Beträge verteilte Bürgermeister Haggenmüller unter den betroffenen Bürgern „a proportione ihres erlittenen Schadens“. (Quelle: St. Arch. Wr. Neustadt, Lit. B, Nr.342, vom 13. April 1768.)

 

Bewertung des Bebens und Erdbebengefährdung

Zahlreiche zeitgenössische Quellen machten es möglich den betroffenen Orten nach kritischer Analyse Intensitäten nach der 12-teiligen Europäischen Makroseismischen Skala EMS-98 zuzuordnen. Die Epizentralintensität wurde mit 7° EMS-98, die Magnitude mit M=5 und die Herdtiefe mit 9 km abgeschätzt.

Wiener Neustadt liegt im südlichen Bereich des Wiener Beckens. Die Ursache der Bebentätigkeit im Wiener Becken ist horizontalen Verschiebungen entlang der Mur-Mürztal-Störung zu suchen, die bewirken, dass der östliche Krustenteil nach Osten gedrängt wird. Im Rahmen dieser Bewegung entstand das Wiener Becken, das von einer Tiefenstörung durchquert wird, die sich in Österreich von Seebenstein über Wiener Neustadt, Ebreichsdorf und Schwadorf nach Marchegg erstreckt. Entlang dieser Bruchzone ereigneten sich in der Vergangenheit wiederholt stärkere Erdbeben, wie die Erdbeben von Schwadorf 1927 und Ebreichsdorf 1938 und 2000 und Seebenstein 1972 zeigten. Wiener Neustadt war 1712, 1768 und 1841 das Epizentrum von Schadensbeben.

Im Wiener Becken kommt es etwa alle 10 Jahre zu einem Erdbeben, das leichte Gebäudeschäden verursacht. Stärkere Bebenbelastungen, die zu starken Schäden führen, finden in Zeiträumen statt, die 100 Jahre überschreiten. Diese, im österreichischen Vergleich relativ gesehen, etwas höhere Erdbebengefährdung wird im EUROCODE-8 zur erdbebenangepassten Bauweise Rechnung getragen.

 

Österreichischer Erdbebendienst

Die Historische Erdbebenforschung ist Teil der umfangreichen Arbeiten des Österreichischen Erdbebendienstes der GeoSphere Austria und trägt u.a. zur Qualitätssicherung des Erdbebenkatalogs und somit auch der Berechnung der seismischen Gefährdung in Österreich bei.

Der Österreichische Erdbebendienst wurde 1904 an der k.k. Central Anstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), seit 1.1.2023 GeoSphere Austria, eingerichtet und ist seit 119 Jahren ohne Unterbrechung tätig (https://www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben).

 

Literatur:

Hammerl, Ch. und W. A.: Lenhardt (2013). Erdbeben in Niederösterreich von 1000 bis 2009 n. Chr. – Abh. Geol. B.-A., 67, 297 S.

https://www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben/historische-erdbeben/historische-erdbebenforschung-oesterreich/erdbeben-in-wiener-neustadt-mittwoch-den-27.-februar-1768-gegen-02-45-uhr-io-8deg

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