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15.04.2022

Das Erdbeben bei Seebenstein - vor 50 Jahren

Das Erdbeben bei Seebenstein - vor 50 Jahren

©ZAMG

Am Sonntag, 16. April 1972 vormittags bebte um 11:10 Uhr die Erde im südlichen Niederösterreich bei Seebenstein, und noch immer erinnern sich einige daran. Das Beben zählt gemeinsam mit den Beben von Schwadorf 1927 und Namlos 1930 zu den stärksten Beben Österreichs des 20. Jahrhunderts. Das Erdbeben hatte eine Magnitude von 5,3 und war noch weit über 500 km zu spüren. So erreichten die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik damals schon über 1.500 Meldungen in den darauffolgenden Tagen per Post. Auch in Deutschland, Tschechien, Slowakei und Ungarn wurde das Beben weiträumig verspürt. Bei einer Epizentralintensität von 7-8° kam es sogar im über 60 km entfernten Wien zu Gebäudeschäden.

Bebenserie bei Seebenstein

Aus dem österreichischen Erdbebenkatalog kann man herauslesen, dass es nicht nur ein Hauptbeben um 11:10 Uhr Lokalzeit, sondern auch ein Nachbeben mit einer Magnitude von 4,0 sowie etwa 10 spürbare Nachbeben mit einer Magnitude über 2,0 gab. Zusätzlich konnten etliche schwächere Erschütterungen an der Messstation in Wien registriert werden. Auf der Hohen Warte in Wien waren die Erschütterungen des Hauptbebens derart stark, dass ein Seismograph die Schreibnadel abwarf. (Der Seismograph verstärkte die Bodenbewegungen zumindest hundertfach, heute beträgt das mindestens das Tausendfache dessen). Ein anderer versetzte die Schreibnadel um einige Zentimeter, wie man am Seismogramm in Abbildung 1 erkennen kann. Daher sind heute alle hochempfindlichen Seismometer mit einem zusätzlichen Messgerät ausgestattet, sodass sie auch ganz starke Bodenbewegungen sicher aufzeichnen können.

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Abbildung 1: Analoges Seismogramm von 1972 auf Rußpapier, Farben invertiert, von links unten nach rechts oben auf Trommel aufgezeichnet. Versatz der Schreibnadel durch Beben von unten nach oben um einige Zentimeter.

Wahrnehmungsberichte und Gebäudeschäden

1972 wertete man die Beben nicht wie heute primär mit Messdaten, sondern anhand von Berichten aus der Bevölkerung aus. So erhielt die ZAMG unzählige Meldungen per Telefon und Post von Personen, die das Beben verspürt hatten. Auch sammelte man von Gendarmerieposten Meldungen, die damals damit beauftragt waren, diese Nachrichten über Beben an die ZAMG weiterzuleiten. Die Feuerwehr in Wien wurde über 400-mal gerufen, um abgestürzte Schornsteine zu entfernen oder Häuser als sicher zu erklären.

Alle Meldungen wurden manuell aufgenommen, bewertet und nach Bezirken zusammengefasst. Die neu digitalisierte Meldungs- und Isoseistenkarte von damals gibt einen Überblick (Abbildung 2) über die Auswirkungen des Bebens.

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Abbildung 2: links: Intensitäten aus gemeldeten Wahrnehmungen, rechts: Isoseisten, Linien gleicher Intensität

In der Folge erreichten einzelne Fotos von Gebäudeschäden die ZAMG, zusätzlich zu den Zeitungsmeldungen. Nach einem Aufruf 2012 anlässlich des 40. Jahrestags dieses Erdbebens erreichten den Erdbebendienst weitere Fotos. Beispielhaft sind in Abbildung 3 typische Gebäudeschäden zu sehen. Personenschäden sind trotz beschädigter Dächer, eingestürzter Kamine und abbröckelnder Fassaden nicht bekannt.

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Abbildung 3: v.l.n.r. Wiener Neustadt, Dach © Billwein; Wien, Pramergasse, Schornstein © D. Ruess; Wien, Reichsratsstraße hinter der Universität Wien, Balustradentrümmer © W. Eppensteiner

Die Wahrnehmungsmeldungen erzählen nicht nur vom Erschrecken und Schäden durch das Beben, sondern geben auch Einblick in eine vergangene Zeit, erzählt Seismologin Maria-Theresia Apoloner. So wird auch vom Kartenspiel, das vom Tisch rutschte, von stehengebliebenen Pendeluhren und Leonard Bernstein, der im Wiener Musikverein das Orchester unbeeindruckt weiter dirigierte, berichtet.

Dieser große Datenschatz an Meldungen, Berichten und Fotos ist nicht nur eine Anekdote wert, sondern auch wichtig für die Erforschung von Erdbeben und deren Auswirkungen in Österreich. Deswegen sammelt der Erdbebendienst auch weiterhin Berichte und insbesondere Fotos zu diesem Beben unter erdbebenfotos@zamg.ac.at.

Die Erde wird noch weiter beben

Auch in Zukunft wird es in Österreich zu Beben ähnlich wie bei Seebenstein 1972 kommen. Beispielsweise gab es erst letztes Jahr zwei Beben der Magnituden 4,4 und 4,6 bei Neunkirchen, welche mindestens 30-mal weniger energiereich waren, weshalb auch nur vergleichsweise ein wesentlich kleinerer Bereich in Österreich betroffen war. Durch die Möglichkeit digitaler Meldungen erreichten anlässlich dieser Beben über 15.000 Meldungen aus der Bevölkerung den Erdbebendienst der ZAMG – ein Ausmaß, welches nur mit automatisierter Datenverarbeitung zu bewerkstelligen war.

Auch heute ist es technisch nicht möglich das nächste Erdbeben vorherzusagen. Man kann aber die Zeiträume viel besser eingrenzen, wann ähnlich starke Beben auftreten. Im statistischen Mittel, also stark gerundet, ereignet sich in ganz Österreich alle 15 Jahre ein Erdbeben von 7° und alle 120 Jahre ein Erdbeben von 8° EMS-98, wobei innerhalb Österreichs sehr starke Unterschiede vorhanden sind. Dies ist auf die Bildung der Alpen zurückzuführen, die sich weiter fortsetzt.

Da sich die Erdoberfläche immer wieder aufgrund der Plattenbewegungen verschieben wird, bleibt es wichtig vorzusorgen:

  • Kurzfristig und persönlich gibt das Wissen über das richtige Verhalten im Erdbebenfall die größte Sicherheit. Hier kann man sich vorab informieren.

  • Langfristig und als Gesellschaft ist es wichtig die Erdbebengefährdung z.B. in Baunormen zu berücksichtigen, damit bei Erdbeben weniger Schäden auftreten.

  • Aktuelle Forschung, moderne Messtechnik, automatisierte Computersysteme und schnelle Kommunikation sind weitere wichtige Elemente. So betreibt der Erdbebendienst der ZAMG nicht nur das nationale Messnetz und forscht zur Erdbebengefährdung in Österreich – er ist auch 24/7 Ansprechpartner für das staatliche Krisen- und Katastrophenschutzmanagement und informiert die Bevölkerung bei spürbaren Beben über die ZAMG-Homepage.

Auch heute noch stellen Wahrnehmungsberichte aus der Bevölkerung eine wichtige Grundlage für die Erdbebenforschung in Österreich dar. Mit ihrer Hilfe können die Erschütterungsmodelle überprüft und verbessert werden und sie dienen damit der bautechnischen Erdbebensicherheit in Österreich. Der Erdbebendienst sammelt diese Berichte von aktuellen Beben digital auf der Homepage oder über die App “Quake Watch Austria“.

Teaserportlet Bebenkarte groß
Karten und Listen seismischer Aktivität

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Umfeld eines Stollens © ZAMG
Angewandte Geophysik

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Live-Seismogramm
Historische Erdbeben
Holzschnitt aus der 'Weltchronik' von Hartmann Schedel, 1493. 'Und der Engel nahm das Rauchfaß und füllte es mit Feuer vom Altar und warf es auf die Erde, und Donner folgten, Getöse, Blitze und Beben.' Offenbarung 8,5 © ZAMG Geophysik Hammerl
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