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28.07.2022

Analyse des „Müsli-Effekts“ unterstützt Klimaforschung

Analyse des „Müsli-Effekts“ unterstützt Klimaforschung

©ZAMG

Ein Forschungsteam von Österreichs ZAMG (Projektleitung) und Frankreichs Institut de Physique du Globe de Paris konnte erstmals die Trennung von unterschiedlich großen Teilen (Müsli-Effekt) in Ozeansedimenten beobachten und am Computer simulieren.

Die Ergebnisse wurden vor kurzem im Nature Fachmagazin Scientific Reports veröffentlicht. Sie sind von großer Bedeutung für die Bestimmung des Alters von Sedimenten anhand von Mikrofossilien. Sedimente helfen, das Klima und seine Wechselwirkungen der letzten Jahrtausende zu rekonstruieren.

Wer wissen will, was der Müsli-Effekt ist, achtet beim nächsten Öffnen einen Müslipackung auf die Verteilung der Zutaten: Die größten Teile, wie Nüsse, liegen meistens obenauf“, erklärt Ramon Egli, Geophysiker an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). „Dieses Phänomen, welches beim Rühren oder Schütteln von granularen Medien mit unterschiedlichen Korngrößen auftritt, nennt man Müsli-Effekt oder in der Fachsprache granulare Entmischung.“

Wichtiger Faktor bei vielen Vorgängen

Granulare Entmischung spielt bei vielen Vorgängen eine wichtige Rolle, unter anderem bei pharmazeutischen Vorbereitungen, bei geologischen Transportprozessen wie Murenabgängen oder der Entstehung eines Flussbetts sowie auch bei der Bildung von Asteroiden. Das grundlegende Prinzip hinter dem Müsli-Effekt ist, dass die Schwerkraft dazu führt, dass kleinere Partikel besser ihren Weg nach unten finden als größere, wenn die Struktur von granularen Medien durch Mischen oder Fließen gestört wird. Die Relativbewegung von kleinen und großen Partikeln hängt in komplexer Weise von ihren Größen- und Dichteverhältnissen, von der Kohäsion und von der Art der Störungen ab. Bei schnellen Prozessen ist der Müsli-Effekt relativ gut untersucht.

In Sedimenten zehn Milliarden Mal langsamer

Einige geologische Prozesse, bei denen auch ein Müsli-Effekt vermutet wird, waren aber bis heute ein Rätsel, zum Beispiel die Hebung geologischer Artefakte durch Böden oder die Ansammlung von Manganknollen auf den Sedimenten des Meeresbodens. Solche Prozesse geschehen extrem langsam, bis zehn Milliarden Mal langsamer als bei Laborexperimenten. Ramon Egli von der ZAMG und Kollegen aus dem Institut de Physique du Globe de Paris (IPGP) ist nun erstmals gelungen, die granulare Entmischung bei derart langsamen Prozessen zu modellieren.

Haifischzähne und 788.000 Jahre alte Glaskügelchen

In einer jüngst publizierten Studie zeigt das Forschungsteam, wie sich Mikrotektite in den Meeressedimenten des Indischen Ozeans verteilt haben. Diese Mikrotektite sind bis zu zwei Millimeter große Glaskügelchen, die beim Einschlag eines großen Meteoriten im südöstlichen Asien vor 788.000 Jahre entstanden sind.

„Auch in diesem Fall liegen die meisten größeren Glaskügelchen oberhalb der kleineren“, sagt Ramon Egli, „auf den ersten Blick wirkt das, als hätten die größeren, oben liegenden Glaskügelchen den Ozeanboden erst bis zu 3000 Jahre später erreicht. Das ist aber nicht so. Auch hier wirkt der Müsli-Effekt: Verantwortlich für diese Umverteilung ist eine vier bis zwanzig Zentimeter dicke Schicht unter der Sedimentoberfläche, die von den darin lebenden Organismen langsam durchgemischt wird. Größere Objekte, wie Haifischzähne, können dabei genügend lang auf der Sedimentoberfläche bleiben, um als Wachstumskeime für Manganknollen zu dienen.“

Händisch zählen und am Computer simulieren

Um den Müsli-Effekt zu untersuchen, musste das Forschungsteam zunächst die Partikel des Ozeanbodens unter dem Mikroskop händisch sortieren, um die Größe, Verteilung und Lage zu bestimmen.

Anschließend wurden am Computer die Auswirkungen des Müsli-Effekts auf eine derartige Sedimentschicht untersucht. „Unser Ansatz war: Können wir derart langsame geologische Prozesse mit dem Müsli-Effekt erklären? Die Antwort ist: Ja, das ist möglich“, sagt Egli, „die Ergebnisse der Simulationen ergaben ähnlich Verteilungen der Teilchengrößen, wie wir sie auch in Ozeanproben beobachtet haben.“

Nutzen für die Klimaforschung

Diese Entdeckung hat wichtige Implikationen für viele Sedimentprozesse und damit auch für die Klimaforschung. Denn mit Hilfe von Fossilien in Sedimenten kann das Klima Tausende Jahre zurück rekonstruiert werden. „Die Teilchen werden Schicht für Schicht am Meeresboden abgelagert und ergeben eine dicke Sedimentschicht, ähnlich wie die einzelnen Seiten in einem Buch übereinander liegen“, erklärt Geophysiker Egli, „aber hier ähnelt es eher einem Buch mit losen Seiten. Denn durch Prozesse wie dem Müsli-Effekt bleiben nicht alle Teile in der ursprünglichen Schicht und somit kann es zu Fehlinterpretationen kommen. Grob gesagt, haben wir jetzt die Möglichkeit, die Durchmischung der Seiten besser zu verstehen, um die Geschichte unseres Planeten, die im Buch erzählt wird, noch besser zu verstehen.“

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Einige der untersuchten Mikrotektite, stark vergrößert. Unterschiedlich große Glaskügelchen, die beim Einschlag eines sehr großen Meteoriten im Indischen Ozean vor 788.000 Jahre entstanden sind. Quelle: ZAMG ->volle Auflösung

Nachweis des Müsli-Effekts. Mikrotektiten-Konzentration (Punkte) und modellierte Konzentrationsprofile (durchgezogene Linien) für zwei Größenklassen. Gestrichelte Linien zeigen das Konzentrationsprofil für kleine Teilchen. Quelle: ZAMG ->volle Auflösung

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Weitere Informationen

Link zur Studie in Scientific Reports:
https://doi.org/10.1038/s41598-022-14276-w

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