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Das Margules Haus der ZAMG – ehemals Hohe Warte 40 – und die Großfamilie Bleier

• Einleitend beschreibt ein Auszug aus Hammerl & Staudinger (Hg.) 2021: 170 Jahre ZAMG und aus den Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission die Thematik.

• Daran schließen ausführliche „Historische Rückblicke als Vermächtnis von Mag. Eveline Elisabeth März, Urenkelin des Papierfabrikanten Ignaz Bleier” an.

… die dunkle Seite des Hauses Hohe Warte 401

Beim […] Symposium „BergWetter 1938. Diktatur, Behörden, Wissenschaft. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik im Schatten des Nationalsozialismus“ am 30.11.2018 an der ZAMG war auch Eveline Elisabeth März anwesend. Es stellte sich heraus, dass E.E. März die Urenkelin von Ignaz Bleier2 ist, der im Jahr 1889 die Villa Hohe Warte 40 samt Garten [Anm. ZAMG=Hohe Warte 38] als Familiensitz und 1916 das an der Ostseite angrenzende Grundstück im 19. Wiener Gemeindebezirk erwarb. Bei weiteren Treffen begann sie die dunkle Geschichte des Hauses, die sie in vielen Jahren aufwändig recherchierte, zu erzählen. Durch weitere Archivarbeit wurde und wird versucht gemeinsam mehr Licht in die Finsternis der Geschehnisse ab 1938 zu bringen.

Am 24.12.1917 verstirbt Ignaz Bleier. 1919 erben seine Kinder Otto Bleier3, Arthur Bleier4, Camilla Bleier, verh. Kallir5 und Leonie Bleier, verh. von Fischer6 die Liegenschaft Hohe Warte 40, ein Haus samt Garten und werden als Eigentümer*innen zu je einem Viertel in das Grundbuch eingetragen.

Am 13. März 1938 wurde von der nationalsozialistischen Bundesregierung unter Arthur Seyß-Inquart das Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich7 beschlossen, der „Anschluss“ war vollzogen. Für die jüdische Bevölkerung änderte sich von einem Tag auf den anderen alles, so auch für die Familie Bleier.
Der nun schrankenlose Staatsterror äußerte sich in zahlreichen folgenschweren Gesetzen und Verordnungen. Einschneidend waren die Nürnberger Rassengesetze (Blutschutzgesetz und Reichsbürgergesetz RGBl. I S. 1146), aber auch jene staatlichen Verordnungen, die auf das Vermögen der jüdischen Bevölkerung abzielten, wie die JUVA (Judenvermögensabgabe), die Reichsfluchtsteuer oder die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941. Letztere besagt, dass Juden und Jüdinnen, die sich im Ausland aufhielten, ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, also staatenlos wurden und folglich ihr gesamtes Vermögen an das Deutsche Reich verfiel. Diese Verordnung wurde auch auf Juden und Jüdinnen, die in Konzentrationslager deportiert wurden, angewendet.

Aufgrund dieser Verordnung wird 1942 das Deutsche Reich Eigentümer der verfallenen Anteile von Camilla Kallir8, die nach London emigrierte, von Leonie von Fischer9, die nach Riga deportiert und dort ermordet wurde und von Arthur Bleier10, der 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1945 befreit wurde. Die Familie war nun enteignet, vertrieben und für Leonie von Fischer endete ihr Leben tragisch im KZ.

1948 kommt es zur Rückstellung der Liegenschaft – die Betroffenen hatten durch Treuhänder im Sinne des Ersten Rückstellungsgesetzes vom 26. Juli 1946 BGBl.156 Anspruch auf Rückstellung angemeldet – an Camilla Kallir und Marianne Henriette Reed (1918-2005), Leonie von Fischers Tochter. Die Eintragung des Eigentumsrecht an Arthur Bleiers (1951 verstorben) Kinder und Enkelkinder erfolgt im Jahr 1954. Am 26.2.1957 wird zwischen den durch den Staatsterror der NS Zeit mittlerweile in alle Welt zerstreuten Genannten und der Republik Österreich ein Kaufvertrag gezeichnet. Die Liegenschaft Hohe Warte 40 samt Garten ist nun im Eigentum der Republik Österreich.

Ähnlich verhält es sich mit dem Grundstück, als „Acker“ bezeichnet, das an die Hohe Warte 38 (ZAMG) und Hohe Warte 40 ostseitig anschließt. Zum Zeitpunkt 8. Juni 1943 gehörte diese Liegenschaft Arthur Bleier, Leonie Fischer und Camilla Kallir zu je einem Viertel, Hilde Bleier, Gertraud Ruth März geb. Bleier (Mutter von Eveline Elisabeth März), Paul Gottfried Bleier und Agnes Bleier zu je einem Sechzehntel.
In einem Schreiben der Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Stadtkämmerei findet man weitere Information zum Raub dieses Grundstücks durch den NS-Staat: „[…] Alle Miteigentümer sind Juden und ist ihr Eigentum gemäß der XI. Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz zu Gunsten des Deutschen Reiches verfallen. […] Die Stadt Wien hat mit dem Kaufvertrage vom 28. April 1942 den dem Arthur Israel Bleier gehörigen ¼ Anteil und dem Kaufpreis von 9.000 RM gekauft.[…]11 Dagegen wurde in einem von Arthur Bleier niedergelegtem Protokoll festgehalten, dass er seinerzeit durch die Gestapo zur Verpachtung gezwungen wurde.12
Auch hier haben die Betroffenen durch Treuhänder im Sinne des Ersten Rückstellungsgesetzes vom 26. Juli 1946 BGBl.156 Anspruch auf Rückstellung angemeldet. Die Liegenschaftsanteile wurden an die früheren Besitzer bzw. deren Erben rückgestellt und am 30.12.1953, noch vor der Liegenschaft Hohe Warte 40, wird der Kaufvertrag13  zu dem genannten Grundstück zwischen ihnen und der Republik Österreich, vertreten durch das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau in Wien unterzeichnet.

1967 werden die Einlagezahlen14 der genannten Grundstücke mit jener der ZAMG (Hohe Warte 38) verschmolzen, d.h. die ursprünglichen Einlagezahlen der Liegenschaft Hohe Warte 40 und des angrenzenden Grundstückes wurden gelöscht, die Spuren der Geschichte waren verwischt, was das Nachverfolgen der Geschehnisse zu Beginn der Recherche enorm erschwerte.

Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber die oft verschleierten Fakten über Enteignung und Rückstellung können zumindest in mühevoller Recherche transparent gemacht werden.

 

Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission

Bis Ende 2004 wurden alle Forschungsergebnisse der Historikerkommission der Republik Österreich in 49 Bänden als „Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich“ im Oldenbourg Verlag publiziert (https://hiko.univie.ac.at/).

Die Rückstellung wurde zur Holschuld für die Opfer des Nationalsozialismus und nicht zur Bringschuld der Republik Österreich. Im Folgenden wird auszugsweise aus dem 1. Band der Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission15 zitiert, um die oft schwer nachzuvollziehenden, undurchsichtigen und problematischen Praktiken bei der Rückstellung anzusprechen und in ihrer Tragweite dort und in den weiteren Bänden nachzulesen sind (https://hiko.univie.ac.at/pdf/01.pdf).
S.453ff.: Die Forschungen der Historikerkommission haben die ungeheuere Dimension des nationalsozialistischen Vermögensentzuges sichtbar gemacht. Er lief auf verschiedenen Ebenen und auf der Grundlage verschiedener Motive und Regelungen ab. Den „wilden Arisierungen“, den Beschlagnahmen im Zuge von Verhaftungen, der Willkür NS-staatlicher und parteiamtlicher Institutionen und Funktionsträger standen erzwungene Kaufverträge, staatliche Enteignungsmaßnahmen und diskriminierende Gesetze gegenüber. Dieser komplexen historischen und von den Betroffenen erfahrenen bzw. erlittenen Realität konnten juristische Maßnahmen eines demokratischen Rechtsstaates, der zu (nach-)vollziehbaren Kategorisierungen gezwungen war, nur teilweise gerecht werden. Dazu traten aber auch die ungenügende subjektive Vorbereitung der österreichischen Eliten und das mancherorts doch deutliche Fortleben von Vorurteilen und Stereotypen gegen die NS-Opfer. […]
Weite Bereiche der Rückstellung wurden […] der privaten Rechtsverfolgung überlassen. Eine Staatsaufgabe, ein öffentliches Anliegen wurde darin wohl kaum jemals gesehen. Nicht dass das Zivilverfahren grundsätzlich ungeeignet gewesen wäre, doch fehlte den Opfern die staatliche Hand, die sie durch das Dickicht des Rückstellungsrechts mit seinen Fallen und Lücken geführt hätte. Dass dem Gesetzgeber solche Rechtstechniken zur Verfügung standen, wenn die fiskalischen Staatsinteressen mit betroffen waren – so etwa bei Fragen des „Deutschen Eigentums“ – zeigen die öffentlich-rechtlichen Konstruktionen des Ersten und Zweiten Rückstellungsgesetzes und die Wirkungsweise der Finanzprokuratur.
Der Verlust des Berufes und des Eigentums führte nicht nur zu materiellen, sondern auch zu weitreichenden ideellen Schäden, wie dem Verlust der sozialen Identität und Position sowie der gesellschaftlichen Verankerung in einem vertrauten Umfeld. Diese traumatischen Einschnitte in der Biographie konnten durch die Restitution der materiellen Verluste nicht aufgehoben werden. Daher muss jede Rückstellung und Entschädigung in letzter Konsequenz zu kurz greifen und Kleinlichkeit die Überlebenden doppelt hart treffen. Für manche Versäumnisse mag man die schwierige ökonomische Situation Österreichs in der unmittelbaren Nachkriegszeit ins Treffen führen. Aber die Entwicklung des Staatsbürgerschaftsrechts – ein Bereich, in dem wirtschaftliche Erwägungen nicht die Hauptrolle spielen sollten – zeigt exemplarisch auf, wie zögerlich sich die Republik Österreich der ehemaligen Österreicher und Österreicherinnen annahm. Zwar wurde 1945 wieder Staatsbürger, wer es am 13. März 1938 gewesen war und keine fremde Staatsangehörigkeit angenommen hatte. Diese – auf den ersten Blick angemessen erscheinende – Regelung verschloss sich aber in anstößiger Weise den realen Opferschicksalen: All jenen Ausgebürgerten, die zwischen 1938 und 1945 eine fremde Staatsbürgerschaft angenommen hatten, verwehrte sie nämlich den Wiedererwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft. Erst 1993 erreichte man hier eine befriedigende Lösung; zum Abschluss kam die Rechtsentwicklung überhaupt erst 1998. Der Nationalsozialismus wirkte jedenfalls insoweit fort – und das bis heute – dass die „Österreicher“ und die „Juden“ einander als Gruppen gegenübergestellt werden.

 

 

Mag. Eveline Elisabeth März
2500 Baden

Baden, am 24. Juni 2021


Historische Rückblicke als Vermächtnis von Mag. Eveline Elisabeth März
(Urenkelin des Papierfabrikanten Ignaz Bleier)

Es ist eine sehr schwere Aufgabe in wenigen Worten das Schicksal der Großfamilie Ignaz Bleier ab dem Jahre 1889 auf der Hohen Warte 40 in seiner großen Tragweite zu schildern. Dennoch ist es wichtig wesentliche Etappen des Aufstiegs und Niedergangs unserer Großfamilie mit einigen Eckdaten festzulegen. Dies als Aufarbeitung einer zunächst aufstrebenden wie danach tragischen Geschichte in der Vergangenheit, wie auch als historisches Vermächtnis für die Gegenwart und Zukunft.
 
Das vorliegende Manuskript befasst sich mit folgenden Themen:
 • Die Großfamilie Ignaz Bleier auf der Hohen Warte 40
 • Generationswandel von der österreichisch-ungarischen Monarchie in die I. Republik
 • Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich
 • Vertreibung, Enteignung und Holocaust
 • Nach dem Zweiten Weltkrieg: Restitution und Verkauf an die Republik Österreich: 1953-57

1967 „Verschmelzung“ der Liegenschaften EZ 294 und EZ 851 mit der Liegenschaft EZ 495 Hohe Warte 38: Heutige Adresse der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG)

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Abbildung 1. Ignaz Bleier (1835–1917)

Mein Urgroßvater Ignaz Bleier (1835–1917) wurde im Jahre 1835 in Kosolup bei Pilsen (Böhmen) geboren. In den 1850er Jahren kam er nach Wien und gründete 1859 die Zigarettenpapierfabrik Jac. Schnabl & Co. zusammen mit seinem Komplementär Jakob Schnabl (auch aus Böhmen). Es entwickelte sich ein zunächst kleines Unternehmen bald zu einer bedeutenden Firma, welche in der österreichisch-ungarischen Monarchie und darüber hinaus Rang und Name hatte.

 

 

 

 

 

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Abbildung 2. Familiengrab Bleier, Wiener Zentralfriedhof, 1.Tor jüdische Abteilung
Ehefrau Pauline (Paula) Bleier, geb. Stein (1851–1883) wurde im Strakonitz, Böhmen geboren, wo auch die Trauung im Jahre 1871 nach jüdischen Riten stattfand. Die Familiengründung erfolgte in Wien IV, Wiedner Hauptstrasse 51, wo sechs Kinder geboren wurden: zwei Söhne, Otto und Arthur und zwei Töchter, Camilla und Leonie (Nelly) erreichten das Erwachsenenalter. Diese heirateten und bekamen selbst Kinder (zwei Söhne, Robert und Hugo starben als Kleinkinder). Es ist nun meine hehre Aufgabe die Schicksale der daraus entstandenen vier Familienzweige von der Monarchie über die I. Republik bis zum Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich und danach so prägnant wie möglich zu schildern.

 

 

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Abbildung 3. Otto, Arthur, Camilla und Leonie Bleier, ca. 1890

 

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Abbildung 4. Ottilie Schnabl (später Bleier) und Camilla Bleier, Lausanne, 1894
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Abbildung 4. Ottilie Schnabl (später Bleier) und Camilla Bleier, Lausanne, 1894

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 6. Villa Hohe Warte 40, 1190 Wien
Als mein Urgroßvater die Villa Hohe Warte 40 im Jahre 1889 erwarb, war Heiligenstadt noch ein Vorort von Wien – bekannt schon als „Sommerfrische“. Aber als der Zusatzgarten im Jahre 1916 erworben wurde (Unterlagen im historischen Grundbuch schwer nachvollziehbar, aber möglicherweise früher Weingärten), herrschte und wütete schon der Erste Weltkrieg. So wurde die Hohe Warte 40 ein Ort der Zuflucht für die Großfamilie Bleier: Kinder und auch schon Enkelkinder konnten Erholung finden; aber es gab auch einen Obst- und Gemüsegarten – und sogar eine Kuh war Ende des Weltkriegs ein Segen in Zeiten der sonstigen Not. Ignaz Bleier verstarb auf der Hohen Warte 40 am 24. Dezember 1917. Seine vier Kinder erbten Anteile am Haus und Garten Hohe Warte 40; in der Folge waren auch Enkelkinder beteiligt. Im historischen Grundbuch waren Haus und Garten mit der Einlagezahl, EZ 294 wie auch das angrenzende Grundstück mit der EZ 851 (angrenzend an die Perntnergasse) eingetragen.

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Abbildung 7. Dr. Otto Bleier, 1896
Mein Großvater Dr. Otto Bleier (1873–1921) wurde im Jahre 1873 in Wien geboren. Er studierte in Heidelberg und erwarb das Doktorat in Chemie. Danach arbeitete er im Familienbetrieb Jac. Schnabl und Co. Seine Leidenschaft war die Bergwelt; sogar eine Erstbesteigung 1912 in den Dolomiten ist in alten Karten als Bleier-Steig gekennzeichnet. Im Jahre 1914 heiratete mein Großvater Hilda Bleier, geb. Haberfeld. Damals diente Dr. Otto Bleier im Ersten Weltkrieg in seinem Beruf als Chemiker. Im Jahre 1915 kam meine Mutter Gertraud Ruth März, geb. Bleier in Salzburg zur Welt. Im Jahre 1916 wurden mein Onkel Paul Gottfried Bleier und im Jahre 1917 meine Tante Agnes (Axi) Bleier (verehelicht Brody), beide in Wien geboren. Leider verstarb mein Großvater Dr. Otto Bleier bereits im Jahre 1921 bei einem Bergunglück im Groß-Venediger-Raum (Bezirk Zell am See).

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Abbildung 8. Agnes, Paul Gottfried und Gertraud Ruth Bleier, Anfang 1920er-Jahre
In der Ersten Republik arbeite meine Großmutter Hilda(e) Bleier als Buchhalterin im Familienbetrieb Jac. Schnabl & Co in Wien Heiligenstadt, Kreilplatz 1. Die Kinder genossen eine gute Erziehung: Volksschule, Gymnasium und auch Privatunterricht im Klavier und Französisch. Meine Mutter Gertraud Ruth maturierte im Jahre 1933 und begann ihr Medizinstudium; im Jahre 1934 heiratete sie meinen Vater Dkfm. (Dr.) Eduard März (1908–1987) im Wiener Stadttempel.
Paul Gottfried Bleier konnte sein Chemiestudium in Wien bis zum Jahre 1938 aufnehmen; dann nicht mehr. Agnes Bleier lernte Schneiderei und Ballett; konnte jedoch schon ab 1937 einer Fortbildung im modernen Tanz in England nachgehen. Bis dahin weitgehend „geordnete Verhältnisse“. Die Jahre der Vertreibung und Flucht ab 1938 werde ich in der Folge beschreiben.  Zunächst sollen die anderen Familienzweige zu Wort kommen.

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Abbildung 9. Gertraud Ruth, Agnes, Hilde, Paul Gottfried Bleier, Kritzendorf a.d. Donau, Ende 1920er-Jahre
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Abbildung 10. Agnes Bleier, 1930er-Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 11. Paul Gottfried Bleier, 1930er-Jahre
Mein Großonkel Dr. Arthur Bleier (1874–1951) kam im Jahre 1874 in Wien zur Welt. Er studierte Medizin an der Universität Wien und spezialisierte sich dann als Internist; auch an der Wiener Poliklinik. Im Jahre 1904 heiratete er Frau Ottilie Schnabl (Tochter von Jakob Schnabl, geb. 1879) und im Jahre 1905 kam ihre erste Tochter Lisa zur Welt. Im Jahre 1907 folgte Tochter Anna Pauline Bleier und im Jahre 1914 Sohn Peter; alle wuchsen in einem schönen Heim in Wien IX, Kolingasse 9 auf. Auch bei diesen drei Kindern gab es eine gut „bürgerliche“ Erziehung; Gymnasium, aber auch Musik und Handwerk wurde gefördert.

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Abbildung 12. Anton und Otto Beck, 1930er-Jahre
Lisa Bleier heiratete im Jahre 1927 den Anwalt Dr. Hans Beck, im Jahre 1928 kam Sohn Otto zur Welt; im Jahre 1930 Anton (Toni). Anna Pauline heiratete Dr. Hans Frey im Jahre 1934; sie arbeitete als Modistin, er als Jurist in der Versicherungsbranche. Peter Bleier konnte schon in den 30er Jahren eine berufliche Laufbahn in der Firma Jac. Schnabl & Co. beginnen. Man hätte meinen können, dass die familiäre und berufliche Zukunft gesichert wären. Aber im Jahre 1938 – nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich änderte sich alles schlagartig und dramatisch.

Meine Großtante Camilla Bleier (1878–1959), verehelicht Kallir, kam im Jahre 1878 in Wien zur Welt. Auch sie genoss eine gut „bürgerliche“ Erziehung mit Musikunterricht. Darüber hinaus besuchte sie ein Jahr lang mit ihrer späteren Schwägerin, geborene Ottilie Schnabl, verehelicht Bleier ein Mädchenpensionat in Lausanne, Schweiz. Gewissermaßen bezeichnend für einen Aufstieg in der Monarchie. Im Jahre 1902 heiratete Camilla Bleier den aus einer angesehenen Familie stammenden Ing. Ludwig Kallir.
Im Jahre 1905 wurde Tochter Paula, 1907 Tochter Eva Amalie und 1912 Sohn Wilhelm in Wien geboren. Alle drei Kinder besuchten das Gymnasium. Danach schlossen sie auch ein Universitätsstudium in den 1930er Jahren an. Die Töchter vollendeten ein Doktoratsstudium in Chemie an der Universität Wien. Sohn Willi studierte Jura und promovierte 1936, war noch Anwaltswärter im Jahre 1938. Seine Schwester Paula heiratete 1931 Dr. Robert Müller. Aber auch hier wurde das weitere Schicksal von Adolf Hitler und dem „Anschluss“ einschneidend bestimmt.

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Abbildung 13. Willhelm Kallir, Anfang 1920er-Jahre

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Abbildung 14. Paula Kallir, Anfang 1920er-Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 15. Eva Amalie Kallir, Anfang 1920er-Jahre
Die jüngste Tochter Leonie (Nelly) Bleier (1880–1942) blieb am längsten beim Witwer Vater Ignaz Bleier zu Hause, der in späteren Jahren seiner geschäftlichen Tätigkeit nur mehr vom Rollstuhl aus nachgehen konnte. Im Jahre 1910 heiratete sie Dr. Friedrich von Fischer, Offizier in der österreichisch-ungarischen Armee im Wiener Stadttempel. Bald nach der Geburt adoptierten sie Tochter Marianne (Mimi genannt), die am 27. Juni 1918 zur Welt kam. Die Familie verbrachte viel Zeit auf der Hohen Warte 40 auch nach dem Ersten Weltkrieg. Ihr Hauptwohnsitz befand sich jedoch im IV. Bezirk von Wien, wo Dr. Fischer seinen Weinhandel mit Frankreich betrieb. Ab 1933 wurde die Hohe Warte 40 jedoch zum ständigen Wohnsitz der Familie Fischer. Dies sollte leider sehr tragische Folgen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 haben.

 

 

 

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Abbildung 16. Friedrich Fischer, Anfang 1930er-Jahre

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Abbildung 17. Leonie Fischer, Anfang 1930er-Jahre

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 18. Leonie Fischer mit Adoptivtochter Marianne (Mimi) um 1919 im Garten des Hauses Hohe Warte 40

 

Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich: Vertreibung, Enteignung und Holocaust

Es ist äußerst schwer die dramatischen Folgen des Anschluss Österreichs im März 1938 für die Großfamilie Bleier in wenigen Worten zu schildern. Die grausame Unterscheidung zwischen „Arier“ (Nicht-Juden) und Juden bedeuteten drastische, bürokratische und steuerliche Maßnahmen für Juden; auch wenn einige Familienmitglieder nicht mehr bei der israelitischen Kultusgemeinde registriert waren (aber in der Monarchie und I. Republik wurden die meisten Ehen nach traditionell jüdischen Riten geschlossen); zur Folge bedeutete dies einen furchterregenden Einbruch in die familiären und finanziellen Verhältnisse. Innerhalb sehr kurzer Zeit wurden Familienmitglieder von drei Generationen zur Flucht in die weite Welt getrieben, über viele Länder und Kontinente.

Ich werde dies wiederum anhand von Familienzweigen nur leider skizzenhaft schildern können: hinter Flucht und auch Deportation steckte unermessliches Leid. Und die NS-Behörden konnten ab August 1938 maßgebliche Urkunden über die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ im ehemaligen Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße, Wien, kontrollieren und auch für spätere Deportationen vorbereiten (vgl. bekannte Dokumentationen über Adolf Eichmann und Alois Brunner).

 

Die Familie Hilde Bleier 1938 und danach

1938 war meine Mutter Gertraud Ruth bereits seit 1934 eine verheiratete März. Schon im März 1938 flüchtete mein Vater Eduard März über die Schweiz, Holland, Dänemark, Polen, Rumänien und Bulgarien in die Türkei. Ende 1940 führte der Fluchtweg über die transsibirische Bahnstrecke über die Sowjetunion, Mongolei nach Wladiwostok; dann mit dem Schiff nach Japan, und mit einem weiteren Schiff nach Kanada und in die USA. Von Seattle dann mit der Eisenbahn bis New York, wo er zum Silvester 1940/41 ankam.
 
Am 7. August 1938 kam ich als Eveline Elisabeth März in Wien XIX, im Rudolfinerhaus zur Welt – als letztes jüdisches Kind. Eine Spitalsgeburt war sonst nur mehr den „arischen“ Bürgern erlaubt. Im Dezember 1938 flüchtete meine Mutter Gertraud Ruth März mit mir nach Genf, Schweiz. Dort beendete sie ihr Medizinstudium. Erst April 1941 konnten wir weiter über Südfrankreich, Spanien, Portugal mit dem Flüchtlingsschiff Nyassa (Marc Chagall war im Juni 1941 ein berühmter Passagier) nach New York flüchten. Dort lernte ich erst mit knapp drei Jahren meinen Vater kennen. Weitere Lebensstationen in den USA waren Boston und andere Kleinstädte in Massachusetts, New York und Virginia.

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Abbildung 19. J-Pass von Gertraud Ruth und Eveline Elisabeth März

 

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Abbildung 20. Gertraud Ruth März, 1938
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Abbildung 21. Genf, 7. August 1940, 2. Geburtstag von Eveline Elisabeth März, mit Mutter Gertraud Ruth März

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 22. Bei Boston, 7. August 1941, 3. Geburtstag von Eveline Elisabeth (Liese) März, mit Vater
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Abbildung 23. Familie März, vereint in den USA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 24. bei Boston, 7. August 1942, 4. Geburtstag von Eveline Elisabeth März, mit Mutter
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Abbildung 25. Eveline Elisabeth März (Liese), Massachusetts, 1948

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 26. Agnes Bleier, Großbritannien, nach der Flucht
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Abbildung 27. Hilde Bleier nach der Flucht aus Wien, 1939
Aber widmen wir uns nun dem Schicksal vom Chemiestudenten Paul Gottfried Bleier: gleich am 13. März 1938 verließ er Wien, um einen „getarnten“ Skiurlaub anzutreten. Es gelang ihm über die Silvretta, Vorarlberg in der Schweiz „landen“ zu können. Leider hatten nicht alle Weggefährten das Glück: der (später bekannte) Schriftsteller Jura Soyfer wurde von der Grenzpolizei geschnappt; kam nach Dachau und dann nach Buchenwald, wo er an Typhus verstarb. Dies exemplarisch, um zu zeigen, von welchen gefährlichen Umständen das Überleben abhängig war.
Paul Gottfried Bleier (mein Onkel Friedl) konnte jedoch Kontakt mit meinem Vater Eduard März und Freunden aufnehmen; nach einigen Monaten führte ihn der Weg über Frankreich nach Großbritannien. Er studierte weiter Chemie und arbeitete in Edinburgh. Diese Zeit wurde wiederum unterbrochen durch die Internierungszeit als „feindlicher Ausländer“ (sic!) von 1939–40 in Quebec, Kanada. Auch geflüchtete Juden aus Deutschland und Österreich wurden als verdächtige „enemy aliens“ in Großbritannien eingestuft und wurden in Internierungslagern auf „Isle of Man“, Kanada und Australien eine Zeit lang eingesperrt. 1944 heiratete Paul Gottfried Bleier die Schottin Joyce Mary Balfour Orr; 1945 kam ihre Tochter in London zur Welt.
Die jüngste Schwester meiner Mutter Agnes (Axi) Bleier war bereits seit 1937 in Großbritannien. Sie studierte modernen Tanz und arbeitete als Schneiderin sowohl in London als auch in Glasgow. Axi war engagiert in den Bewegungen „Young Austria“ wie auch in der „Free Austrian Movement“. Im Jahre 1944 heiratete Agnes Bleier in London Peter Brody; ursprünglich aus einer ungarischen Familie, kam er im Jahre 1917 in Budapest zur Welt. Beide erlebten schwierige Kriegsjahre in Großbritannien.
Meine Großmutter Hilde Bleier konnte erst im März 1939 nach Großbritannien flüchten. Dies mit der Auflage als Haushälterin zu arbeiten; damals war dies oft in Großbritannien die einzige Möglichkeit eine Einreiseerlaubnis zu erhalten. Sie hatte mehrere Posten in England und Schottland. Trotz großer Schwierigkeiten im Exil war sie beharrlich eine fleißige Korrespondentin mit ihren Kindern und Freunden. Leider verschlechterte sich ihre Gesundheit im Laufe des Zweiten Weltkriegs wie auch danach immer mehr. Insbesondere litt Hilde (in Dokumenten Hilda) Bleier unter Bluthochdruck, es gab viele Aufregungen.

 

Die Familie Dr. Arthur Bleier 1938 und danach

Es ist wiederum sehr schwer die vielen Schicksalsschläge dieses Familienzweiges zu schildern. Die dramatischen Fluchtwege der Kinder von Dr. Arthur und Ottilie Bleier sollen zunächst hervorgehoben werden.

Die Familie Beck (Anm.: Lisa Beck, geb. Bleier, Tochter von Dr. Arthur Bleier und ihr Mann Dr. Hans Beck) konnte nicht gemeinsam ausreisen. Söhne Otto (10 Jahre alt) und Anton (8 Jahre alt) gelangten Ende 1938 in einem der ersten Kindertransporte über Deutschland und Holland nach England, wo sie zunächst bei Gastfamilien untergebracht wurden. Mutter Lisa Beck konnte dann separat auch 1938 nach England flüchten. Familienvater Dr. Hans Beck musste bis 1939 in Wien wegen bürokratischer Maßnahmen bleiben. Auch er konnte jedoch nach England flüchten. Die weitere Reise nach Indien, wo Kontakte für eine mögliche Arbeit existierten, konnte er im Jahre 1940 nur mit Ehefrau Lisa und Sohn Otto durchführen. Sohn Anton (Toni) musste in England in mehreren Internaten in Süd- wie auch Nordengland zurückbleiben. So blieb die Familie Beck den ganzen Zweiten Weltkrieg immer wieder zeitlich und geographisch getrennt durch schwierige Aufenthalte in England, Nordindien und auch Kalkutta. Dieser Umstand hinterließ leider starke Spuren in familiären Beziehungen; sowohl bei Eltern als auch bei deren Kindern. Sohn Toni konnte erst 1945 nach Kriegsende zur Familie in Indien dazu stoßen.

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Abbildung 28. Hans und Lisa Beck in Indien, 1940er-Jahre
Das Ehepaar Dr. Hans u. Anna (Annie) Frey (Anna Pauline Frey, geborene Bleier, Tochter von Dr. Arthur Bleier) hatte keine Kinder. In gewisser Weise war ihr Fluchtweg etwas leichter: 1938 bzw. 1939 über England und 1940 in die USA, zuerst nach New York und dann nach Chicago, wo sie Jahrzehnte lang ihren Wohnsitz hatten und im Laufe der Jahre auch sinnvollen Beschäftigungen nachgehen konnten. Aber beruflich bedeutete dies große Umstellungen und sehr viel Plage.

Ihre Flucht wurde maßgeblich durch die „Quaker-Bewegung“ unterstützt und die Freys sind dann bis zu ihrem Lebensende den „Friends“ treu geblieben. Sie waren uns auch treue Verwandte und wir besuchten sie im Laufe von Jahrzehnten immer wieder. Ab 1984 lebten Sie in St. Rosa, Kalifornien, wo sie 1993 bzw. 1995 verstarben.

 

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Abbildung 29. Anna Frey

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Abbildung 30. Carol Bleier und Anna Frey, 1977

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 31. Anna und Hans Frey, 90. Geburtstag, Friends-House Kalifornien

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 32. Anton und Ursula Beck, 1989, Redwoods Kalifornien

 

 

 

 

 

 

 

Die Flucht von Peter Bleier (Sohn von Dr. Arthur Bleier) verlief wiederum anders: auch er gelangte schon 1938 nach England; aber der Fluchtweg führte im Jahre 1940 viel weiter bis nach Melbourne, Australien. Dort lernte er seine Frau Edith (geb. 1921) kennen, die ursprünglich aus Wuppertal, Norddeutschland stammte. Peter Bleier diente in der australischen Armee, wurde aber nicht wirklich heimisch in Australien. Leider wurde ihm in vieler Hinsicht der Boden unter den Füßen weggezogen.

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Abbildung 33. Peter, Carol und Ronald Bleier, Melbourne, Australien, 1950

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 34. Peter und Edith Bleier, Melbouren, Australien
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Abbildung 35. Ronald, Edith und Carol Bleier, Melbourne, Australien, 1950

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aber nun zurück nach Wien zum Großonkel Arthur (Thurl) und Großtante Ottilie (Otti): er war, wie andere Familienmitglieder, weiterhin „beteiligt“ an den Liegenschaften EZ 294 und EZ 851 der Hohen Warte 40 – mit allen bürokratischen und steuerlichen Schikanen von Hitler Deutschland. Aber der Hauptwohnsitz war in der Kolingasse 9, Wien IX. Dort war seit Beginn des Jahrhunderts schon seine Ordination als Internist; dort lebte die Familie Jahrzehnte in guten Verhältnissen und war zu Hause. Aber im Dritten Reich wurde schlagartig alles auf einmal gänzlich anders und meinem Großonkel Dr. Arthur und Großtante Ottilie Bleier gelang nicht die Flucht ins Ausland – trotz vieler Bemühungen. Am 13. August 1942 wurden sie nach dem Konzentrationslager Theresienstadt deportiert: „Steine der Erinnerung“ zeugen davon in der Kolingasse 9, 1090 Wien.

Fast wie ein Wunder und glücklicherweise überlebten mein Großonkel Dr. Arthur und Großtante Ottilie Bleier das Konzentrationslager Theresienstadt. Man brauchte ihn als Mediziner (nicht offiziell Arzt) bei der „Betreuung“ von Zwangsarbeitern. Anfang Mai 1945 wurden sie von britischen Soldaten befreit.  Schwiegersohn von Leonie und Friedrich Fischer, Herr Neville Reed war dabei – überbrachte neue Kleider und Schokolade. Nach der Befreiung erfolgte die Rückkehr zunächst nach Wien. Aber Ende 1946 erfolgte eine neue, freiwillige Übersiedlung über London und New York nach Chicago. Sowohl in New York wie auch in Chicago durfte ich als Kind an der Wiedersehensfreude teilnehmen.

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Abbildung 36. Dr. Arthur und Ottilie Bleier, Chicago, 1947
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Abbildung 37. Dr. Arthur Bleier, Chicago, 1950

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Familie Ludwig und Camilla Kallir ab 1938 und danach

Die Familie Kallir (Camilla Kallir, geborene Bleier, Tochter von Ignaz Bleier und Ing. Ludwig Kallir) konnte ihre Flucht insgesamt etwas geordneter und „besser“ als andere Verwandte vorbereiten; dennoch gab es auch hier große Schwierigkeiten. Auch hier geschahen systematisch die „üblichen“, bürokratischen Schikanen – und gerade weil es bereits vor 1938, auch eine große Beteiligung an den Liegenschaften auf der Hohen Warte 40 gegeben hat – und auch finanzielle Verflechtungen mit anderen Familienmitgliedern. Vor dem Nationalsozialismus konnten Familienmitglieder für andere Verwandte betreffend Pfandrechte bzw. Schulden bürgen; dann im Nationalsozialismus nicht mehr.
Sohn Dr. Wilhelm (Willi) Kallir flüchtete schon Herbst 1938 nach New York, USA und heiratete dort Edith, geb. Haber 1939. Beide verstanden, dass sie sich schnell beruflich verändern müssten und waren dann erfolgreich als Kinderphotographen.

Schwiegersohn Dr. Robert Müller flüchtete 1938 nach London. Aber seine Frau Paula blieb mit ihren Eltern und Schwester Eva Kallir in Wien bis 1939 zurück. Sie versuchten ihrer Schwester und Tante Leonie Fischer wie auch Schwager und Onkel Dr. Friedrich (von) Fischer (welche ihnen gegenüber mit einer Hypothek auf der Liegenschaft EZ 294, Hohe Warte 40 belastet waren) zur Flucht zu helfen; leider vergeblich. So reisten letztendlich Ing. Ludwig und Camilla Kallir gemeinsam mit ihren zwei Töchtern Paula und Eva – verzweifelt und bitteren Herzens mit altem Hausrat und Möbeln aus der Schlüsselgasse 3, Wien IV (eine alte Bleier-Wohnung, wo Paula Müller gemeldet war) nach London, England ab. Was mit vielen Wertgegenständen auf der Hohen Warte 40 passiert ist, wissen wir nicht. Dr. Eva Amalie Kallir verstarb bereits im Jahre 1940 in London, Compagne Gardens. Ing. Ludwig Kallir verstarb im Jahre 1943 auch in London. Aber Großtante Camilla und Tochter Paula blieben der Compagne Gardens 65 Jahrzehnte treu. Meine Großmutter Hilde Bleier konnte wiederholt bei ihnen in London wohnen; auch Marianne Fischer, ab 1941 zusammen mit Ehemann Neville Reed, fanden dort vorübergehend Aufnahme. Und nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine gewisse Kontinuität bei den Kallirs. Die geschiedene Paula Müller blieb bei ihrer Mutter; arbeitete im Büro und half vielen Menschen. Ich selbst war im Sommer 1955 bei Großtante Camilla und Paula mehrmals zu Gast und erinnere mich gerne – aber mit einer gewissen Wehmut an diese Zeiten zurück.

 

Die Familie Friedrich und Leonie Fischer ab 1938 und danach

Das Schicksal der Familie Fischer ist mit einer großen Tragik, insbesondere mit der Hohen Warte 40 verbunden. Sehr schweren Herzens schreibe ich diese Zeilen: was immer ich zum Ausdruck bringen möge – es kann der Verkettung von unseligen Umständen nicht Genüge tun. Über die Jahre habe ich mir recht viel von Tochter Marianne, Schwiegersohn Neville Reed und Enkelin Anna Botwright schildern lassen – auch Familienbriefe und Photos studiert. Aber je mehr ich weiß, desto schrecklicher wird es für mich. Unfassbar, dass Leonie und Friedrich Fischer mich noch in meinen ersten Lebensmonaten gekannt haben – aber sie durften den Holocaust nicht überleben. Am 26. Januar 1942 wurden sie nach Riga, Lettland deportiert. Liebe Menschen. Gute Menschen.

Wie und was soll ich dennoch schreiben? Zunächst zum Schicksal von Marianne Fischer (1918-2005). Mimi konnte bereits am 15. März 1939 Wien Richtung England verlassen. Sie erzählte mir noch in den Jahren 2003 bzw. 2004 bei Besuchen in Farnham, Surrey, dass sie auf dem Wege zum Flughafen Hitler gesehen hatte. (Hitler kam zur ersten „Anschlussfeier“ nach Wien). Dies wiederholte sie mehrmals. Sonst sprachen wir um ihre Bemühungen die Eltern zu retten. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 hatte sie einen Abgeordneten im Britischen Parlament engagieren können, der bereit war Bürgschaft zu leisten. Aber nach dem Einmarsch und Übergriff auf Polen war Großbritannien selbst Kriegspartei geworden – die Botschaft in Wien geschlossen und immer weniger Chance die Eltern Leonie und Friedrich Fischer zu retten. Auch meine Großmutter Hilde Bleier bemühte sich zu helfen; erinnert sei jedoch an die verzweifelten Bemühungen der Kallirs.

Leonie und Friedrich Fischer blieben bis zum März 1941 wohnhaft auf der Hohen Warte 40, Wien XIX. Die Lebensbedingungen wurden immer schlechter; dies lässt sich aus der spärlichen Korrespondenz ableiten, welche u.a. über das Rote Kreuz in Genf weitergeleitet wurde. Im Jahre 1941 konnten oder mussten dann die Fischers in die Kolingasse 9, zum Bruder Dr. Arthur Bleier und Schwägerin Ottilie Bleier „übersiedeln“. Die Kolingasse 9 war schon eine geteilte Wohnung geworden; beengt, eine Art „Familiensammelwohnung“.  Es gab kaum noch mehr als einen Schimmer Hoffnung. Aber im November 1941 verloren alle Juden die deutsche Staatsbürgerschaft und die Möglichkeit mit einem gültigen „J-Pass“ auszureisen.

Es gibt noch ein letztes Schreiben von Leonie Fischer im Dezember 1941, wo sie zum Ausdruck bringt, sie sei glücklich von der Eheschließung der Marianne Fischer mit Neville Reed zu erfahren. Sie gibt der Tochter ihren Segen, glaubt jedoch nicht (mehr) wirklich an ein Wiedersehen. Tochter Marianne (Mimi) soll nur so glücklich in der Ehe werden wie ihre Eltern es Jahrzehnte lang gewesen sind. Ein Abschiedssegen, ein Abschiedsbrief.
Am 26. Januar 1942 sind Leonie und Friedrich Fischer nach Riga deportiert und vermutlich gleich nach Ankunft dort ermordet worden. In der peniblen Dokumentation der NS-Behörden findet man die zynischen Worte: … nach Riga evakuiert ...

Im Jahre 1942 fuhren Marianne und Neville Reed für knappe drei Jahre nach Cape Town, Südafrika. Sie wohnten nach der Wiederkehr in England kurze Zeit bei den Kallirs (Compayne Gardens 65, London), bevor sie nach Farnham, Surrey zurückkehrten. Im Jahre 1955 besuchte ich das erste Mal als siebzehnjährige die Reeds mit ihrer Tochter Anna in Farnham. Sie nannten mich damals „Red Boots“, weil ich mich stolz im englischen Regenwetter in meinen roten Stiefeln bewundern ließ. Was habe ich damals vom Familiendrama verstanden? Ein wenig schon; aber natürlich sehe ich heute alles ganz anders – jetzt nach Überprüfung von hunderten belastenden Dokumenten. Ein sehr schweres, aber bedeutendes Vermächtnis.


Nach dem Zweiten Weltkrieg: Nur verzögerte Rückkehr nach Wien; sehr problematische Restitution und Verkauf der Hohen Warte 40 an die Republik Österreich

Welche Familienmitglieder sind nach dem Zweiten Weltkrieg nach Wien zurückgekehrt?
Einige schon, aber niemand mehr zurück an die Hohe Warte 40. Inzwischen gab es nur „arische“ Mieter dort, darunter ein bekannter Schauspieler namens Hans Putz, der beim berühmten Film „Die Vier im Jeep“ mitgewirkt hat.

Zunächst möchte ich auf das Bundesgesetz vom 26. Juli 1946 über die Rückstellung entzogener Vermögen, die sich in Verwaltung des Bundes oder der Bundesländer befinden (Erstes Rückstellungsgesetz) hinweisen.16 Dort wird auch im §1 Abs (5) auf die Löschung der diskriminieren Abgaben wie Reichsfluchtsteuer und JUVA hingewiesen; die Löschung der diskriminieren Abgaben wurde aber nicht immer durchgeführt, so blieben sie bei Getraud Ruth März und Paul Gottfried Bleier auch nach 1945 eingetragen. Jener §1 Abs (5) lautete: Die auf den in Abs. (1) genannten Vermögen grundbürgerlich zur Sicherstellung für Rückstände an Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe [Anm.: JUVA] eingetragenen dinglichen Rechte sind vom Amts wegen oder auf Antrag zu löschen.
Ein grundlegendes Problem bei der Restitution war auch, dass die diskriminierende Verfolgung und verhängnisvolle Steuerpolitik zwischen 1938 und 1941 (auch manchmal 1942 und 1943) von den maßgeblichen Anwälten und Notaren überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Im Gegenteil das Wesentliche wurde ausgeklammert. Im Grunde genommen sollte man nicht die realen Fakten zwischen 1939 bis 1945 erkennen. Es gab keinen diesbezüglichen Leitfaden. Problematisch war auch die Vertretung der sich im Ausland befindenden Familie Bleier durch die Allgemeine Waren-Treuhand Aktiengesellschaft, mit Firmensitz in 1010 Wien, Hessgasse 5. Aber im Ausland lebende Familienangehörige hatten keinen Zugang zu wesentlichen Dokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus und danach.
Weiters möchte ich nach jahrzehntelanger Recherche betonen, dass angebliche Rückstellungen nicht wertgesichert vollzogen wurden. De facto konnte ich aus Familiengesprächen und diversen Akten ableiten, dass nur à conto Zahlungen geleistet wurden. Auch ist es u.a. nicht möglich nachzuvollziehen, was mit den Mieten für die Wohnungen im Haus Hohe Warte 40 während der NS Zeit und auch noch nach 45 passierte.
Aus einem erhalten gebliebenem Familienbrief weiß ich folgendes: bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat der damalige Generaldirektor der Creditanstalt-Bankverein, Dr. Josef Joham meiner Großmutter Frau Hilde Bleier nach London geschrieben. Dies berichtete sie meiner Mutter Frau Dr. Gertraud Ruth März, geb. Bleier nach USA; damals lebten wir in Williamsburg, Virginia. Man verstand, dass es sich um Vermögensfragen handelte. Als meine Großmutter nach Wien zurückkehrte, beschäftigte sie sich viel mit Vermögensentziehungsanmeldungen gemäß VEAV-Anmeldungen (Vermögensentziehungs-Anmeldungs-verordnung). Im Jahre 1946 war dies eine wichtige Grundlage für etwaige Rückstellungen.
Meine Großmutter Hilde Bleier kehrte September 1946 mit Tochter Axi und Schwiegersohn Peter Brody nach Wien zurück. Meine Großmutter Hilde verstarb leider bereits Oktober 1947 in Grinzing, Wien XIX. Die Liegenschaft EZ 851 (Hohe Warte 40) wurde teilweise im August 1948 restituiert; aber eigentlich war dies eine Art Treuhand-Rückstellung, welche mit einer Bank verbunden war. Die Hohe Warte 40 wurde im nationalsozialistischen Deutschen Reich nur teilweise „arisiert“ – und zwar der Anteil vom Großonkel Dr. Arthur Bleier nach seiner Deportation nach KZ Theresienstadt im Jahre 1942 – und dies zunächst als problematischer Verkauf an die Gemeinde (Stadt) Wien. Komplexe und verworrene Vorgänge bevor es „letztendlich“ zum „Weiterverkauf“ an die Republik Österreich in den 1950er Jahren kam. Aber tatsächlich wurden die zwei Liegenschaften EZ 294 und EZ 851, (KG Heiligenstadt), Hohe Warte 40, erst 1967 mit der Liegenschaft EZ 495 (KG Heiligenstadt) „verschmolzen“. Dabei wurden die beiden EZ 294 und EZ 851 im historischen Grundbuch gelöscht. Jetzt ist die groß gewordene Liegenschaft nur unter der EZ (Einlagezahl) 495 im Grundbuch registriert mit alleiniger Adresse Hohe Warte 38.

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Abbildung 38. Hohe Warte 40 heute
Wie schon erwähnt, kehrte mein Großonkel, Dr. Arthur Bleier nach der Befreiung Mai 1945 mit seiner Gattin Ottilie, geb. Schnabl nach Wien zurück; aber bereits Ende 1946 übersiedelten sie in die USA zu ihrer Tochter Anna Pauline Frey und Schwiegersohn Dr. Hans Frey nach Chicago.

Lisa Beck kehrte mit Familie 1947 aus Indien über England und die Schweiz nach Wien zurück. Dr. Hans Beck konnte wieder Jahrzehnte lang als Rechtsanwalt in Wien arbeiten. Aber Sohn Anton (Toni) musste Deutsch quasi als Fremdsprache wieder erlernen. Sohn und Eltern fanden seelische Zuflucht in der weltweiten Bewegung: „moralische Aufrüstung“ in Caux, Schweiz. Dr. Hans Beck verstarb 1970 in Wien, Lisa Beck im Jahre 1978. Sie war Jahre lang bei der Matura Schule Roland als Englischprofessorin tätig.


Sohn Otto Beck entschied sich schon 1954 zu einer neuerlichen Auswanderung nach Ontario, Kanada, wo er bis zu seinem Lebensende im September 1999 blieb. Er wurde Lehrer, heiratete und hatte einen Sohn. Sohn Anton (Toni) verließ Wien in den 1950er Jahren; zuerst nach Salzburg und dann nach Köln in Deutschland, wo er im Musikverlagswesen tätig war. Er heiratete Ursula (geboren 1937) im Jahre 1964. Ihre Tochter Regine kam 1965 zur Welt. Leider lebte Sohn Michael (geb. März 1967) nur 16 Monate und starb im Juli 1968. Regine Beck heiratete Metin Odabas in jungen Jahren; geboren wurden drei Töchter Jasmin (1983), Suzan (1988), Filis (1993).

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Abbildung 39. Metin, Jasmin und Regina Odabas, Gertraud Ruth März und Anton Beck, Köln, 1980er Jahre

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 40. Suzan Odabas und Ursula Beck, 1991
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Abbildung 41. Eveline Elisabeth März und Ursula Beck, Musikverein Wien, 2013

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anton Beck verstarb bereits im Jahre 1993 in Köln.

Anna Pauline und Dr. Hans Frey blieben Jahrzehnte in Chicago und Umgebung. Annie arbeitete zunächst noch als Modistin; dann nach abgeschlossenem Studium als Sozialarbeiterin. Hans Frey wurde erfolgreicher Übersetzer bei der „American Medical Association“. Im Jahre 1984 übersiedelten sie in eine Quaker-Siedlung in Santa Rosa, California. Dr. Hans Frey verstarb dort im Dezember 1993; seine Frau Anna Pauline Frey folgte ihm im März 1995 nach. Wunschgemäß wurden ihre Urnen im „Oakridge Cemetery“, Chicago, Illinois – den Gräbern ihrer Eltern Dr. Arthur und Ottilie Bleier beigesetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Peter Bleier in Melbourne, Australien. Seine Tochter Carol wurde im Jahre 1945 geboren; Sohn Ronald im Jahre 1947. Leider verstarb Peter Bleier bereits im Jahre 1950. Später übersiedelte die Witwe Edith mit ihren Kindern Carol und Ronald nach Sidney. Edith Bleier arbeitete im Handel. Tochter Carol Bleier wurde erfolgreiche Fremdenführerin in vielen Ländern. Sohn Ronald Bleier studierte Medizin; heiratete Louise in Melbourne. Dr. Ronald Bleier spezialisierte sich in der Alternativmedizin und übersiedelte nach Port Douglas in Nordaustralien. Die Familie Ronald und Louise Bleier haben zwei Söhne und eine Tochter.


Rückkehr von Agnes Bleier-Brody, Paul Gottfried Bleier und Gertraud R. März nach Wien

Meine Tante, Dr. Agnes Bleier-Brody und ihr Mann Peter Brody kehrten gemeinsam mit der Großmutter Hilde Bleier im September 1946 über Prag nach Wien zurück. Agnes (Axi) Bleier-Brody arbeitete als Assistentin bei Filmproduktionen und schloss ihr Doktorat in Theaterwissenschaften an der Universität Wien im Jahre 1953 ab. Ihr Mann Peter arbeitete zunächst im Verlagswesen und dann nach der Rückstellung im Familienbetrieb in Wien Heiligenstadt (seit 1941 „Samum Vereinigte Papier-Industrie KG“ und nicht mehr Jac. Schnabl & Co.)

Das Rückstellungsverfahren der Samum Vereinigte Papier-Industrie KG endete mit einem außergerichtlichen Vergleich mit dem Creditanstalt-Bankverein bereits im Jahre 1950. Dabei wurden gewisse Vorgänge in den Jahren des Nationalsozialismus eher verschleiert. Dies obzwar eine „Entjudungsauflage“ („Arisierung“) auf die frühere Firma Jac. (Israel sic.) Schnabl & Co. in der Höhe von RM 88.640,00 im August 1941 über die Kontrollbank an die Reichsbank in Berlin bezahlt wurde. Dabei spielte ein spezifisches Finanzamt Heiligenstadt (1938-1948) eine wesentliche Rolle; in  der Verlassenschaft nach Dr. Arthur Bleier gibt es sogar einen Hinweis auf das Jahr 1951. Dieses Finanzamt betraf gleichzeitig Privatbesitz Hohe Warte 40 im Deutschen Reich (im historischen Grundbuch findet man u.a. diesbezügliche Eintragungen auf den Namen Gertraud Ruth März) wie auch Firmenbesitz von Jac. Schnabl & Co. (später Samum KG) am Kreilplatz 1, 1190 Wien. Aber nach 1945 hatten die Familienmitglieder keinen Zugang zu gesperrten Dokumenten betreffend die Zeit des Nationalsozialismus und auch danach. Wesentliche Informationen fehlten! Dies erfolgte erst wirklich in den 1990er Jahren auch dank der großen Bemühungen von Dr. Hubert Steiner im österreichischen Staatsarchiv.

Die „Samum“ war in den Jahren 1945–1972 eine wesentliche Papierverarbeitungsfirma der Zweiten Republik. Eine große Palette von Produkten wie Zigarettenpapier, Haushaltszubehör (Papierservietten mit Motiven, eine Art „Wachspapier“), Buntpapier und auch Fotoentwicklungsprodukte waren bedeutend für wirtschaftliche Erfolge. Der Hauptfirmensitz war am Kreilplatz 1, 1190 Wien Heiligenstadt. Es gab auch einen zweiten Firmensitz in Breitenau, Niederösterreich. Peter Brody erfüllte eine wichtige Funktion als Firmendirektor neben Hans Heinz Schnabl. Nach Schließung der Fabrik im Jahre 1972 folgte die Vermietung an Handelsketten. Im Herbst 2005 wurde das Einkaufszentrum Q19 in der Grinzinger Straße 112, grenzend an Kreilplatz 1, 1190 Wien eröffnet. So ändern sich die Zeiten.

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Abbildung 42. Samum-Fabrik, Kreilplatz 1, 1190 Wien

 

 

 

 

 

 

Meine Tante Agnes (Axi) Bleier-Brody verstarb leider im Juli 1987 in Wien. Sie hinterließ Mann Peter und ihre zwei Kinder Florian (geb. 1953 in Wien) und Claudia (geb. 1956 in Wien). Peter Brody verstarb hoch betagt 2013 in Wien. Florian spezialisierte sich schon vor Jahrzehnten in den digitalen Medien; wanderte in den 1990er Jahren nach Kalifornien, USA aus und lebt jetzt in San Francisco mit seiner Tochter Miriam (geb. 2004). Claudia Brody arbeitete sehr lange in Beratungsfirmen. Ihre Tochter Lena wurde im Jahre 1993 geboren; besuchte ein zweisprachiges Gymnasium und absolvierte ein Studium in Internationaler Entwicklung an der Universität Wien. Im Jahre 2021 vollendet sie ihr Masterstudium der Sozial- und Humanökologie an der Universität Klagenfurt. Leider verstarb ihre Mutter, meine Cousine Mag. Claudia Brody bereits im Jahre 2015 in Wien.
Verweise jeweils auf die Websites von Agnes Bleier-Brody und Florian Brody.

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Abbildung 43. Dir. Peter Brody, Samum 1950er Jahre

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Abbildung 44. Claudia Brody

Die Rückkehr von Paul Gottfried Bleier

Mein Onkel Paul Gottfried Bleier kehrte nach über zehn Jahren in Großbritannien im Jahre 1949 nach Wien zurück. Die Rückkehr fiel ihm nicht leicht. Zunächst arbeitete er als Fachmann im Holz-Forschungsinstitut (Standort: Wiener Arsenal). Seine erstgeborene Tochter blieb zunächst bei ihrer Mutter in London zurück. In den 1950er Jahren begann auch mein Onkel als Chemiker im Familienbetrieb „Samum Vereinigte Papier-Industrie KG“ zu arbeiten. Er reiste gerne und war später auch Konsulent für Papierverarbeitung bei der UNIDO, der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung. Vor seinem Ableben im März 1990 in Wien reiste er noch beruflich nach Indien.

Mein Onkel hinterließ zwei Töchter: die erste Tochter aus erster Ehe mit Joyce – und Daniela (geb. 1958) aus zweiter Ehe mit Gertrude Böhm.

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Abbildung 45. Paul Gottfried Bleier, Chemiker in der Samum, 1950er Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 46. Paul Gottfried Bleier, 1963, Hallstatt
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Abbildung 47. Gertrude und Daniela Bleier, 1968

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 48. Daniela Bleier und Eduard März, anlässlich der Promotion von Daniela, 1981
Tochter Daniela, geb. 1958 besuchte das Akademische Gymnaisum in Wien, maturierte im Jahre 1976. Dann studierte sie sowohl Rechtswissenschaften an der Universität Wien wie auch Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Nach erfolgter Promotion legte sie die Anwaltsprüfung ab und gründete Ende der 1980er Jahre zusammen mit einer Partnerin eine Anwaltskanzlei. Im Laufe der Jahre spezialisierte sich Dr. Daniela Witt-Dörring auch auf Immobilienrecht.
Verweise auf Website von Dr. Daniela Witt-Dörring.


1988 heirateten Dr. Daniela Bleier und Dkfm. Christian Witt-Dörring. Zunächst lebten sie noch in Wien, danach seit Jahrzehnten in Zwölfaxing, N.Ö. Das Ehepaar hat zwei Söhne und eine Tochter: Constantin (geb.1988), Paul Gottfried (Friedi, geb. 1990) und Emily (geb. 2003). Constantin hat zunächst Betriebswirtschaft bis zum Magister studiert, hat nun ein eigenes Photostudio. Friedi hat Betriebswirtschaft mit Abschluss Magister studiert; arbeitet jedoch hauptberuflich als Skilehrer und Naturbegleiter im Westösterreich. Die Liebe zu den Bergen ist ein Vermächtnis seines Urgroßvaters, Dr. Otto Bleier. Seine Schwester Emily maturierte 2021. Sie ist eine reife junge Frau mit vielen Fremdsprachenkenntnissen und bereits weit gereist; teilweise auch mit ihrem Vater Christian, der in der Zahntechnikentwicklung überaus erfolgreich ist.
Verweise auf Websites von Christian und Constantin Witt-Dörring.


Die Rückkehr der Familie März

Meine Mutter Dr. Gertraud Ruth März kehrte mit ihren Kindern versuchsweise 1952 nach Wien zurück; mein Vater Dr. Eduard März folgte 1953. Österreich wurde nun doch wieder zum Hauptwohnsitz der Familie März. Meine Eltern arbeiteten dann beruflich und auch im Sinne ihrer universitären Ausbildungen. Aber zunächst musste nostrifiziert werden. Meine Mutter übte den Arztberuf aus; zunächst im Krankenhaus und dann in ihrer eigenen Ordination als Neurologin. Dr. Gertraud Ruth März, geb. Bleier hatte ihr Doktorat noch in Genf im Jahre 1941 abgeschlossen. In den USA hatte sie als Pathologin gearbeitet; wechselte dann zur Neurologie und Psychiatrie in Österreich. Sie war eine engagierte Ärztin und sehr geschätzt von ihren Patienten. Auch war sie langjähriges Mitglied der Sigmund Freud Gesellschaft in Wien. Meine Mutter Dr. Gertraud Ruth März verstarb 1990 in Wien.

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Abbildung 49. Gertraud Ruth März, 1970er Jahre

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Abbildung 50. Gertraud Ruth März, 1980er Jahre

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 52. Eduar März, Ende 1970er Jahre
Mein Vater Dr. Eduard März promovierte mit einem Doktorat in Nationalökonomie und Wirtschaftsgeschichte an der Harvard University, USA im Jahre 1948. Er beendete seine langjährige Tätigkeit bei der IBM und war nun hauptberuflich an amerikanischen Universitäten tätig. Seine spätere Berufslaufbahn in Österreich führte über einige Stationen: als Konsulent schrieb er zwischen 1953–1955 eine bedeutende Bankengeschichte. Erschienen als „März, Eduard (1968): Österreichische Industrie- und Bankpolitik in der Zeit Franz Josephs I. Am Beispiel der k. k. priv. Österreichischen Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe. Wien, Frankfurt, Zürich: Europa Verlag, 384 S.“. Ab 1956 gründete er die wirtschaftswissenschaftliche Abteilung der Arbeiterkammer Wien; blieb auch als langjähriger Leiter bis zur Pensionierung im Jahre 1973.
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Abbildung 52. Eduar März, Ende 1970er Jahre.
Es folgten Honorarprofessuren an den Universitäten Linz, Salzburg und Wien.

Auch war Dr. Eduard März bis knapp vor seinem Ableben im Jahre 1987 Konsulent der Creditanstalt-Bankverein (heute Bank Austria) und verfasste ein umfangreiches Werk über Bankengeschichte in der Ersten Republik. Aber schmerzlich für ihn war, dass die Archive betreffend Austrofaschismus und Nationalsozialismus versperrt blieben. Erst in den letzten zwanzig Jahren konnte ich dieses traurige Vermächtnis betreffend Nationalsozialismus nachholen. Mein Vater Dr. Eduard März verstarb 1987 in Wien.


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Abbildung 53. Eveline Elisabeth März, England 1955
Eveline Elisabeth März maturierte im Jahre 1956 in der Frauenoberschule, Wien XIX. Schon früh in der Kibbutz-Bewegung engagiert, emigrierte sie bereits 1957 nach Israel. Dort lebte und arbeitete sie zunächst in der Landwirtschaft, dann auch als Lehrerin für englische Sprache in einigen Kibbutzim.  B.A. (Bachelorstudium) in Englisch und Französisch und eine pädagogische Ausbildung schloss sie an der Hebrew University, Jerusalem, 1966 ab. Später M.A. in der Romanistik und vergleichenden Literaturwissenschaft 1970 an der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio, USA. Lehraufträge in der Vergleichenden Literaturwissenschaft auf derselben Universität in Cleveland und später an der Haifa University, Israel gleichzeitig mit Mittelschulunterricht für die englische Sprache waren wichtige berufliche Tätigkeiten.

1975 kehrte Eveline Elisabeth März endgültig nach Österreich zurück – zunächst nach Wien (Nostrifikation als Magister 1979). Seit der Pensionierung lebe ich in Baden bei Wien. Jahre lang übte ich die Tätigkeit sowohl als Englischlehrerin wie auch als Übersetzerin (u.a. in einer Bank) aus. Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich eingehend mit der Aufarbeitung der Familiengeschichte im Nationalsozialismus und danach. Dies wurde mir zum Auftrag und zum Vermächtnis.

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Abbildung 54. Gertraud Ruth März und Eveline Elisabeth, in der Negev-Wüste, Israel, 1959

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Abbildung 55. Eveline Elisabeth März (damals verheiratete Sussmann), Studentin der Hebrew University, Jerusalem; 1971

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Abbildung 56. Foto 42, Eveline Elisabeth März MA, Cleveland, Ohio, 2. September 1970
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Abbildung 57. Würdigung von Mag. Eveline Elisabeth März im Rathaus Baden anlässlich ihres 80. Geburtstages (AG Mahnmal)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Familie Kallir nach dem Zweiten Weltkrieg

Während und auch nach dem Zweiten Weltkrieg lebten die Familienangehörigen fortlaufend in London und New York. Großtante Camilla Kallir lebte bis zum Jahre 1959 zusammen mit ihrer Tochter Paula in der Compayne Gardens, Nordwest-London. Es war dies eine Gegend, wo viele Emigranten aus Mitteleuropa „hängen“ geblieben sind. Man war längst nicht mehr in Wien, man liebte die feine englische Art – aber immer blieb ein Hauch von Wehmut in der Lebensführung. Noch immer war man umgeben von der Hauseinrichtung aus der Schlüsselgasse in Wien. Tochter Paula Müller arbeitete hauptberuflich in einem Handelsunternehmen und kümmerte sich vorbildlich um ihre Mutter. Ich erinnere mich an ruhige Teestunden; aber auch an Ausflüge in englische Gärten mit Paula. Nach Ableben der Großtante Camilla machte sie regelmäßig schöne Urlaube „am Kontinent“. Sie traf ihren Bruder Willi in der Schweiz und in Südtirol; manchmal auch meine Mutter Gertraud Ruth (Traute) März wie auch Annie und Hans Frey. Paula Müller verstarb in London im Februar 1979. Großtante Camilla und Tochter Paula Müller sind im Golders Green Jewish Cemetery in London begraben.

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Abbildung 58. Wilhelm (Willi) und Edith Kallir, Besuch in Wien 1979
William Kallir (früher Wilhelm; in den USA William) und Frau Edith lebten bis nach dem Zweiten Weltkrieg an dem Broadway, in Manhattan, New York. Dort waren sie recht erfolgreich mit ihrem Fotostudio, wo sie vor allem Porträts machten. Auch ich stand als „Fotomodell“ in der Kindheit zur Verfügung. Unvergessliche und aufregende Momente, wenn man die Metropole New York ab und zu erleben durfte. Später kauften Willi und Edith Kallir ein Haus im Stadtteil Queens. Auch dort kamen Familienmitglieder wie auch ich immer wieder im Laufe von Jahrzehnten zu Besuch. Willi arbeitete nun als Steuerberater; Edith als Sozialarbeiterin im Laufe von Jahrzehnten von den 1950er Jahren bis zu den 1980er Jahren.



Sie hatten ein Kind aus Österreich zu sich als Ziehsohn genommen. Aber die New Yorker Kallirs blieben nicht nur zu Hause: zahlreiche Konzertbesuche, auch Ausstellungen und Reisen in den USA und nach Europa. Sie führten ein intensives von kulturellen Impulsen geprägtes Leben.

Nach Wien kamen sie mit Abständen. Leider verstarb Edith Kallir bereits im September 1982. Das Leben wurde beschwerlicher für Willi; aber er gab nicht auf und traf sich weiterhin mit vielen Freunden. Ich besuchte ihn immer, wenn ich in New York Aufenthalt machte, 1997 schon in einem Altersheim. Willi (William) Kallir verstarb im September 1999 in Queens, New York. Begraben ist er mit seiner Frau Edith, geb. Haber in einem jüdischen Friedhof ca. fünfzig Kilometer nördlich von New York City am Fluss Hudson. Die Kallirs blieben immer ihrem jüdischen Glauben treu – vor Jahrzehnten erlebte ich eine eindrucksvolle Bar-Mizwa-Feier zusammen mit Cousin Willi Kallir weiter draußen am Long Island, New York im Herbst 1993. Es bleibt mir eine schöne Erinnerung.


Die Familien Reed und Botwright in Farnham, Surrey und Skipton bzw. Thirsk, Yorkshire

Wie bereits erwähnt heirateten Marianne (Mimi) Fischer und Neville Reed im Jahre 1941 während des Zweiten Weltkriegs in Farnham, England. Nach einigen Jahren in Südafrika und auch beim englischen Militär hat sich Neville für eine Karriere im britischen Beamtentum in London entschieden. Er konnte sein Elternhaus in Farnham, Surrey übernehmen, wo das Ehepaar Reed viele Jahrzehnte lebte – bis knapp vor ihrem Ableben, jeweils im März und Juli 2005.

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Abbildung 59. Marianne Reed (geb. Fischer), nach dem 2. Weltkrieg

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Abbildung 60. Marianne und Anna Reed, 1955, Farnham

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tochter Anna, geb. 1950 wurde schon als Säugling adoptiert. Auch ihre Mutter Marianne war bereits ein Adoptionskind in Wien gewesen. Aber sowohl Mutter Marianne wie auch Tochter Anna haben die Bleier-Tradition in unglaublicher Treue übernommen und fortgeführt. In zahlreichen Gesprächen in England und auch Österreich habe ich sehr viel über die Familiengeschichte erfahren, alte Korrespondenz und zahlreiche Photos auch von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auf der Hohen Warte 40 besichtigen dürfen. Marianne (Mimi) Fischer-Reed war Familienmensch, auch ihre Tochter Anna ist es geblieben. Dafür großen Dank an Anna Botwright: sie hatte mir zahlreiche Unterlagen zur Verfügung gestellt; gewisse Fotos erhielt ich bereits von ihrer Mutter Marianne.

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Abbildung 61. Familie Botwright, Yorkshire
Anna Botwright heiratete den anglikanischen Pfarrer Adrian Botwright im Januar 1987. Sie lebten dann Jahrzehnte lang in Skipton, Yorkshire. Dort wuchsen auch ihre Töchter Ruth (geb. Dezember 1987) und Hilary (geb. Juni 1989) auf. Beide Töchter studierten in England und auch Schottland. Es war ein vielseitig engagiertes Leben, auch mit weltoffenen Reisen in ferne Länder bereichert. „Reverend“ Adrian Botwright wurde sogar einmal die Ehre erwiesen, in der St. Paul’s Cathedral, London predigen zu dürfen. Er hätte auch weiterhin seine Tätigkeit nach London verlegen können, zog es aber vor in Yorkshire zu bleiben.

Im September 2012 war das Ehepaar Botwright bei Eveline Elisabeth März zu Gast in Baden bei Wien, als wir die „Steine der Erinnerung“ als Würdigung in der Kolingasse 9, 1090 Wien – gemeinsam mit anderen Familienangehörigen und auch mit zahlreichen Gästen – vornehmen durften.

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Abbildung 62. Gedenken der Großfamilie vor Kolingasse 9
Nach der Pensionierung von Adrian Botwright in Skipton übersiedelte die Familie im Jahre 2013 nach Carlton Miniott, Thirsk, North Yorkshire. Sie führen dort ein offenes Haus mit englischem Garten und musizieren viel.

Leider ereilte die Familie Botwright im Mai 2015 eine große Tragödie. Ihre Tochter Hilary verstarb bereits in jungen Jahren an den Folgen einer Anorexie. Es fand eine große Gedächtnisfeier im Ripon Cathedral, Yorkshire statt.

Tochter Ruth blieb in Skipton, Yorkshire; arbeitete in einem Unternehmen und heiratete im Jahre 2018 Paul Butler.

Nun sind nachfolgende Generationen anscheinend „typische“ englische Familien. Nach außen hin vielleicht – aber doch in der Erinnerung geprägt von schicksalsvollen Jahren auf der Hohen Warte 40 in Wien, 19. Bezirk – und von der Familientragödie im Holocaust – von der Deportation und Ermordung von Dr. Friedrich und Leonie, geb. Bleier in Riga im sehr finsteren Winter von 1942.

Dies schreibt Eveline Elisabeth März im Jahre 2021 in vollem Bewusstsein ihrer historischen Verantwortung. Und mit Dankbarkeit, dass sich zukünftige Generationen erinnern werden. Die Hohe Warte 40, 1190 Wien wird zur Gedächtnisstätte.


Danksagung

Insbesondere möchte ich mich bei Dr. Michael Staudinger, langjähriger Direktor der ZAMG, bedanken für die Möglichkeit zusammen mit Frau Dr. Christa Hammerl die nicht bekannte Geschichte der Liegenschaften Hohe Warte 40, mit Bezug auf Hohe Warte 38 der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Dr. Eva Holpfer, Historikerin Abteilung für Restitutionsangelegenheiten der IKG-Wien (Israelitische Kultusgemeinde); zahlreiche Unterlagen aus dem Österreichischen Staatsarchiv und aus dem Landes- und Stadtarchiv, Wien; auch für das beharrliche Engagement bei den „Scans“ von den historischen Grundbüchern EZ 294 und EZ 851; Archiv vom Bezirksgericht Döbling (Wien).

Insbesondere möchte ich Frau Dr. Christa Hammerl danken für die Möglichkeit gemeinsam FLD Akte (Finanzlandesdirektion Wien) im österreichischen Staatsarchiv zu überprüfen. Es waren sehr umfangreiche Akte betreffend unterschiedliche Personen der Großfamilie Bleier im Nationalsozialismus und danach. Die Materie bleibt nach wie vor so beunruhigend, dass ich sehr schwer eine solche Überprüfung allein geschafft hätte.

Dank auch an DSA Irma Wulz, BA, Matrikelamt der IKG-Wien (Israelitische Kultusgemeinde) für die Verifizierung von zahlreichen Geburts-, Heirats- und Sterbedaten von der Großfamilie Bleier.

Frau Ursula Beck, Sindorf-Kerpen (bei Köln) hat mir viele wichtige Informationen und Fotos betreffend die Flucht der Familie Beck im Nationalsozialismus gegeben.
 
Frau Anna Botwright, Thirsk, Yorkshire sowie bereits ihre verstorbene Mutter, Frau Marianne Reed, geb. Fischer haben mir zahlreiche Fotos und auch historisch wichtige Fotos zur Verfügung gestellt: Dokumente aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie; aber auch aus der tragischen Zeit des Nationalsozialismus.

Fotos Copyright E.E. März

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1 Hammerl, Ch. und M. Staudinger (Hg.) 2021: 170 Jahre ZAMG. 1851 – 2021. Leykam Graz. S. 63-65
2 1859 gründete der Chemiker Ignaz Bleier (1835–1917) mit seinem Komplementär Jacob Schnabl die offene Handelsgesellschaft „Jac. Schnabl & Co.“. Das kleine Unternehmen war bald eine bedeutende Firma in Österreich-Ungarn. Später war das Unternehmen unter dem Namen „SAMUM“ u.a. international bekannt für Zigarettenpapier
3 1873-1921, Chemiker
4 1874-1951, Arzt; 1942 nach Theresienstadt deportiert, 1945 befreit.
5 1878-1959; 1940-1943 London.
6 1880-1942; 1942 deportiert, 26.1.1942 ermordet in Riga.
7 BGBl. Nr. 75/1938.
8 1942 gehörte ihr der halbe Anteil an der Liegenschaft Hohe Warte 40.
9 ein viertel Anteil an der Liegenschaft Hohe Warte 40
10 ein viertel Anteil an der Liegenschaft Hohe Warte 40
11 ÖStA, FLD-Akt Nr.14910 Ktn 640, Gemeindeverwaltung des Reichsgaues Wien, Stadtkämmerei an den Oberfinanzpräsidenten Wien-Niederdonau Sachgebiet P6 vom 8. Juni 1943.
12 ÖStA, FLD 12244 Ktn 474, Verwaltungsbüro Otto A.J. Piterka an die Finanzlandesdirektion f. Wien, NÖ u. Burgenland vom 8.2.1947
13 Der Kaufpreis betrug 288.600 Schilling (valorisiert 2020: 264.540 €).
14 Jede Einlage im Grundbuch wird je Katastralgemeinde mit der Einlagezahl (EZ) eindeutig bezeichnet. Eine Einlage enthält ein oder mehrere Grundstücke, die im Eigentum einer bestimmten Person stehen.
15 C. Jabloner, B. Bailer-Galanda, E. Blimlinger, G. Graf, R. Knight, L. Mikoletzky, B. Perz, R. Sandgruber, K. Stuhlpfarrer und A. Teichova (Hg.) (2003): Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassungen und Einschätzungen. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, Bd.1. Oldenbourg Verlag Wien München.
16 https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1946_156_0/1946_156_0.pdf (abgerufen am 23.6.2021)

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