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17.12.2021

Wetterlexikon | Westwetterlagen

Im ZAMG Wetterlexikon wird das Wetter in Ihrer Region von Meteorologinnen und Meteorologen der ZAMG erklärt.

Westwetterlagen

Autor: Mag. Andreas Frank, ZAMG Wien

Haben Sie sich auch schon immer gefragt, warum es fast jedes Jahr um die Weihnachtszeit vorübergehend recht mild wird und damit in den Niederungen nicht selten gar nicht winterliche Temperaturen vorherrschen?

Schuld daran ist meist eine sogenannte Westwetterlage, denn dabei gelangen sehr milde Luftmassen vom Atlantik bis weit auf den Kontinent und verdrängen meist mit kräftigem Sturm die dort lagernden Kaltluftseen (Die Stürme Lothar, Kyrill, Paula, Xynthia oder Sabine um nur einige zu nennen, sind so manchen vielleicht noch in Erinnerung). Solche Durchbrüche milder Atlantikluft gegen die kontinentale Kaltluft sind zu Beginn des Winters und damit rund um Weihnachten noch leichter möglich, als später dann im Hochwinter, wo es schon sehr kräftige Sturmtiefs braucht.

Wer wetterfühlig ist, kennt solche Westwetterlagen auch als das typische „Kopfweh-Wetter“, wo es am Morgen oft noch klirrend kalt ist und dann innerhalb von nur wenigen Minuten, meist mit Winddurchbruch, also dem Einsetzen von kräftigem, sehr milden Westwind, die Temperaturen deutlich ansteigen. Diese Wetterumstellung verkraften nicht alle problemlos und verspüren Kopfschmerzen oder gar Migräne.

Bei solchen Wetterlagen, bei denen atlantische Tiefdruckgebiete mit der Höhenströmung rasch ostwärts ziehen, treten oft auch mehrere Stunden andauernde kräftige Stürme mit starken Windspitzen, manchmal sogar um oder knapp über 100km/h auf. In größeren Seehöhen und im Bergland ist nochmals eine deutliche Windzunahme zu verspüren. Vielleicht hat es manchen von Ihnen schon einmal, die nicht optimal eingewinterten Gartenmöbel, bei so einem Sturmereignis herumgewirbelt?

Personen mit chronischen Atemwegserkrankungen oder auch Allergiker erfreuen sich mitunter aber solcher Wetterlagen, denn kräftiger Wind durchmischt die Luft sehr gut und damit werden die Konzentrationen an Luftschadstoffen aber auch an Pollen in der Luft stark verdünnt und die betroffenen Personen sind vorübergehend nahezu beschwerdefrei.

Wie kommt es nun zu diesem raschen Temperaturanstieg?

Bei einer Westwetterlage wandern Tiefdruckgebiete, die sich häufig über dem Nordatlantik bilden, in rascher Abfolge meist zwischen dem 50. und 60. Breitengrad ostwärts über Europa hinweg. Dabei überqueren ihre Frontensysteme Mitteleuropa und sorgen für eher unbeständiges und nasses Wetter. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit, mit der sich diese Tiefdruckgebiete bewegen, treten große Luftdruckgegensätze auf und daher kommt es zu starkem Wind. Je größer die Druckunterschiede sind, desto stärker bläst der Wind. Gesteuert wird der rasche Durchzug der Tiefdruckgebiete in Richtung Osten von einem Starkwindband in der Höhe, welches zusätzlichen Antrieb ins turbulente Wettergeschehen bringt.

In Abbildung 1 ist dieses Westwindband auf der Nordhalbkugel für Mitte Jänner, als Sturm Kyrill in Europa große Schäden anrichtete, farblich dargestellt. Aufgrund der unterschiedlichen Erwärmung zwischen Äquator und Pol strömen Luftmassen großräumig von Süd nach Nord und werden durch die Erdrotation auf der Nordhalbkugel nach rechts abgelenkt, sodass sich ein Starkwindband um den Pol legt. Aufgrund von kleinräumigen Temperatur- und damit auch Druckunterschieden ist dieses Starkwindband regional ein wenig ausgebeult und bekommt eine wellenartige Struktur. 

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Abbildung 1: Farblich dargestellt ist die Höhendruckverteilung in 500hpa (ca. 5000m Seehöhe), in weißen Isolienen ist das Bodendruckfeld der Nordhalbkugel überlagert. Gültig für 18.1.2007 mittags. Quelle: ZAMG.

Kalte Luftmassen haben eine größere Dichte als warme Luftmassen und daher befindet sich die gleiche Luftmenge in kalten Luftmassen näher an der Erdoberfläche, als in warmen Luftmassen. Da die Atmosphäre im Winter kälter ist als im Sommer und somit die Tropopause in unseren Breiten in etwa 10 km Höhe zu liegen kommt, also deutlich niedriger ist als im Sommer, wo sie 18-20 km hoch liegt, ist somit auch das Starkwindband und damit der Antrieb von oben deutlich näher an der Erdoberfläche. Dies hat zur Folge, dass solch gelagerte Stürme eher im Winterhalbjahr anzutreffen sind.

Ein genauerer Blick auf die Situation über Europa erfolgt in Abbildung 2. Das Starkwindband, also die Drängung der Linien gleicher Höhendruckflächen, (farblich dargestellt in Abbildung 2) erstreckt sich ziemlich genau von West nach Ost. Die darunterliegenden Bodentiefdruckgebiete (weiße Linien in Abbildung 2) sind entlang dieser Farbgrenzen grob von West nach Ost aufgefädelt.

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Abbildung 2: Bodendruckfeld (weiße Isolienen) und Linien gleicher Höhendruckflächen (farbig eingefärbt) vom 18.1.2007 mittags auf einem Europa/Atlantik-Ausschnitt. Quelle: ZAMG.

Die Luftdruck- und Temperaturgegensätze zwischen dem warmen Süden und dem kalten Norden bewirken mächtige Wetterfronten, oft verbunden mit Sturm, da die Natur solche Unterschiede rasch ausgleichen will.

In der Bodenwetterkarte (Abbildung 3) vom 19. Jänner 2007, in der sowohl der Luftdruck als auch die entsprechenden Wetterfronten eingetragen sind, erkennt man sehr schön, die rasche Abfolge der Tiefdruckgebiete, Ikarus, Jürgen, Kyrill, Lancelot und deren Positionierung in Ost-Westrichtung rund um den Nordpol (Die Namen der Tiefdruckgebiete im deutschsprachigen Raum werden übrigens von der Freien Universität Berlin vergeben).

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Abbildung 3: Bodenwetterkarte vom 19.1.2007 00UTC. Quelle: FU-Berlin.

Anhand einer Fallstudie schauen wir uns das Sturmphänomen und die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus genauer an.

Wie schon zuvor erwähnt zog das Sturmtief Kyrill im Jänner 2007 über Nordeuropa und seine Auswirkungen reichten in Richtung Süden bis zum Alpenbogen. In Österreich wurden zum einen sehr hohe Windgeschwindigkeiten gemessen, aber eben auch für den Winter ungewöhnlich hohe Temperaturen. Vielfach wurden Stationsrekorde für den Jänner gebrochen. Aufgrund der Wettervorhersagen wurden vorsorglich auch Krisenstäbe verstärkt. In Deutschland wurde sogar der gesamte Bahnverkehr für einige Stunden unterbrochen. In Tabelle 1 sind die stärksten im Zusammenhang mit dem Sturm in Österreich gemessenen Windspitzen verzeichnet. Da der Sturm in den Abend- und Nachtstunden über das Land zog, waren die Auswirkungen z.B. auf den Verkehr in Österreich deutlich geringer als in Deutschland und Sachschäden waren oft auch erst in den Morgenstunden des 19.1.2007 zu sehen.  Der ORF berichtete in der ZIB2 sogar in einer Liveschaltung von der Hohen Warte in Wien und interviewte zu den aktuellen Windspitzen und den zu erwarteten Auswirkungen den diensthabenden Meteorologen im Nachtdienst.

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Tabelle 1: Höchste in den Niederungen gemessene Windspitzen mit Sturmdurchzug. Rot markiert sind Rekordwerte für die Station. Quelle: ZAMG.

Eine Auswertung des zeitlichen Verlaufs einiger meteorologischer Parameter an der Station Wien Hohe Warte gibt Aufschluss darüber wie sich so eine Westwetterlage in der Praxis auswirkt.

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Abbildung 4: Zeitlicher Verlauf der 10 minutigen Messwerte an der Station Wien Hohe Warte für die Nacht von 18.1.2007 auf 19.1.2007. Quelle: ZAMG.

Am Temperaturverlauf in Abbildung 4 erkennt man sehr schön, dass es zu Mittag vor Eintreffen des Sturms bereits +6°C hatte, also eine für Jänner eher warme Luftmasse im Ostalpenraum lagerte. Bis etwa 17:00 Uhr stieg die Temperatur zwar kontinuierlich leicht an, aufgrund des schwachen Windes mit Windspitzen von nur 20km/h änderte sich die Temperatur aber kaum, da es zu keiner Durchmischung der Luft kam. Erst um 17:00 Uhr mit Durchgreifen erster noch schwacher Böen und einem Anstieg der Windspitzen auf knapp 60km/h stieg die Temperatur plötzlich auf knapp 16°C an. In der Folge legte der Wind am Boden laufend zu und erreichte gegen Mitternacht seinen Höhenpunkt an der Station Wien-Hohe Warte mit 117km/h. Mit dem Wind stieg auch die Temperatur noch weiter auf über 18°C und das mitten in einer Jänner Nacht. Erst mit Durchzug der Kaltfront gegen 1:00 Uhr am 19.1.2007 fiel die Temperatur wieder um fast 10 Grad ab. Sie stieg aber mit erneut auflebenden Windböen noch einmal auf über 12°C an, ehe sie zum Morgen hin mit nachlassen des Windes wieder auf Werte um 6°C, also jener Temperatur vor durchgreifen der extrem warmen Höhenluft atlantischen Ursprungs, abfiel.

Um das Durchgreifen des Windes von der Höhe aus und die damit verbundenen Auswirkungen schöner untersuchen zu können, empfiehlt es sich vertikale Messungen von Wind und Temperatur anzuschauen. Dazu sind sogenannte Radiosondenaufstiege, also Messungen an einem Wetterballon ideal geeignet. Solche Wetterballons werden routinemäßig 2x pro Tag in Wien auf der Hohen Warte gestartet, im Anlassfall auch öfters. In Abbildung 5 sieht man die Auswertung dreier aufeinanderfolgender Radiosondenaufstiege. Am 18.1.2007 um 00:00UTC lagert bodennahe noch die Kaltluft mit rund 2°C und darüber schon deutlich wärmere Luft mit bis zu 12°C. Gleichzeitig kann man anhand der Windmessung feststellen, dass bodennah schwacher Wind vorherrschte, aber in der Höhe bereits stürmischer Westwind blies. Im Laufe des 18.Jänners griff der Westwind immer weiter nach unten durch und damit durchmischte sich die Luftschicht knapp oberhalb des Erdbodens und erreichte schon rund 15°C, während es am Boden bei 5°C vergleichsweise kalt blieb. Erst gegen Mitternacht schaffte es der Westwind bis zum Boden durchzubrechen und damit wurde auch die bodennahe Kaltluft schlagartig mit der darüber liegenden warmen Luft durchmischt und die Temperaturen in 2m Höhe stiegen deutlich an. 

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Abbildung 5: Radiosondenaufstieg von Wien Hohe Warte an drei aufeinanderfolgenden Terminen aus dem Archiv der Universität Wyoming.

Betrachtet man nun auch noch weitere meteorologische Parameter während dieses Ereignisses, so kann man auch verstehen, warum wetterfühlige Menschen mitunter sehr stark bei solchen Wetterlagen reagieren. In Abbildung 6 sind Zeitverläufe der relativen Luftfeuchte, des Luftdrucks sowie der 2m Temperatur eingetragen. Der Temperaturverlauf ist schon bekannt und da gibt es eben ein rasches auf und ab um mehrere Grad Celsius innerhalb kürzester Zeit. Der Luftdruck fällt bis zum Störungsdurchzug sehr stark ab und steigt dann wieder rasch, zum Teil sogar sprunghaft an. Diese Plötzliche Druckänderung nehmen sensible Menschen als äußerst belastend wahr und Kopfschmerzen sowie migräneartige Beschwerden können dadurch ausgelöst werden. Der Zeitverlauf der Luftfeuchtigkeit lässt erkennen, dass in den Abendstunden mit langsam ansteigender Temperatur die relative Luftfeuchtigkeit abnimmt, da warme Luft deutlich mehr Wasser aufnehmen kann als kalte Luft. Mit Durchzug der Kaltfront und dem damit verbundenen plötzlichen Abfall der Temperatur steigt hingegen die relative Luftfeuchte von recht trockenen 42% rasch auf knapp 90% und auch dieser Wechsel macht sich bei alten Narben sowie Gelenksproblemen mitunter unangenehm bemerkbar. Generell bleibt hier aber anzumerken, dass nicht alle Menschen auf Wetterreize gleich reagieren und daher die genauen Auswirkungen von Mensch zu Mensch stark variieren. Wissenschaftliche auf Daten und Fakten bezogene Untersuchungen zum Biowetter sind schwierig und man ist bei der Interpretation eher auf Laienaufzeichnungen und deren Berichtswesen angewiesen. 

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Abbildung 6: Zeitlicher Verlauf von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck an der Station Wien Hohe Warte während des Durchzugs des Sturmtiefs Kyrill. Quelle: ZAMG.

Abschließend kann angemerkt werden, dass Westwetterlagen nicht immer mit so dramatischen und extremen Stürmen einhergehen, aber die beschriebenen Phänomene bei solchen Wetterlagen, zumindest für das Flachland Österreichs, typisch sind. Aus klimatologischen Auswertungen der 2m Lufttemperatur kann zudem festgestellt werden, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten solcher Lagen um oder knapp nach Weihnachten erhöht ist, denn das Weihnachtstauwetter mit dem typischen Wärmeeinbruch zählt zu den sogenannten Wetter-Singularitäten. Die Erforschung von Regelmäßigkeiten im Jahresgang der Witterung nennt man Singularitätenforschung und hatte weit vor der Entwicklung von Wettervorhersagemodellen ihren Höhepunkt. Ziel war es, eine Wettervorhersage aufgrund dieser wiederkehrenden Ereignisse zu ermöglichen, was jedoch aufgegeben werden musste. Die Eisheiligen, die Hundstage, der Altweibersommer oder eben das sog. Weihnachtstauwetter sind aber bis heute gebräuchlich und regelmäßig zu beobachten.