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03.12.2021

Wetterlexikon | Schneefallgrenze: „Weiße“ Überraschung möglich!

Im ZAMG Wetterlexikon wird das Wetter in Ihrer Region von Meteorologinnen und Meteorologen der ZAMG erklärt.

Schneefallgrenze: „Weiße“ Überraschung möglich! 

Autor: Mag. Christian Pehsl, ZAMG Graz

Hier erfahren Sie Wissenswertes über die Definition, der Berechnung und die Problematik bei der Vorhersage der Schneefallgrenze. Vor allem in den Alpentälern kommt es immer wieder zu Schneefallereignissen, die aufgrund der allgemein vorherrschenden großräumigen Temperaturverteilung nicht unbedingt zu erwarten sind.

Der Begriff der Schneefallgrenze lässt auf einen scharfen Übergang vom festen in flüssigen Niederschlag schließen. In Wirklichkeit handelt es sich aber um kein fixes Niveau, sondern um eine mehr oder weniger dicke Luftschicht, in der Schneeflocken zu Regentropfen schmelzen. Wie mächtig (oder ‚dick‘) diese Schicht ist, hängt einerseits vom Temperatur- und Feuchteprofil der Atmosphäre, aber andererseits auch von der Flockengröße und der Niederschlagsintensität ab.

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Abbildung 1: Schneefallgrenze.

Berechnungen der Schneefallgrenze

Als Laie gelangt man logischerweise rasch zu folgender Feststellung: Eis schmilzt bei 0°C, die Schneefallgrenze liegt somit auf Höhe der Nullgradgrenze. Im Groben ist das nicht falsch, allerdings benötigt der Schmelzvorgang eine gewisse Zeitspanne, in der die Schneeflocke weiter Richtung Boden fällt. Zudem kühlt sich die Schneeflocke durch den Schmelz- und Verdunstungsprozess selbst, was besonders bei trockener Luftmasse sehr effektiv wirkt. So ist es keine Seltenheit, dass Schneeschauer speziell im Frühjahr auch bei deutlichen Plusgraden niedergehen können.

Welche Methoden oder Grenzwerte eignen sich nun für die Ermittlung der Schneefallgrenze? Eine sehr einfache Variante ist die Annahme, dass sämtliche Schneeflocken bei +2°C geschmolzen sind. Jetzt gilt es noch, den Höhenunterschied zwischen der Nullgradgrenze und der +2°C-Grenze zu bestimmen. Auch hierfür ist noch eine spezielle Annahme zu treffen. Wir wissen ja, dass die Temperatur aufgrund bestimmter Eigenschaften unserer Atmosphäre im Allgemeinen mit ansteigender Höhe abnimmt. Am Berg ist es somit durchschnittlich kälter als im Tal. Bei Niederschlag bzw. feuchter Luft beträgt dieser Temperaturunterschied etwa 0,65°C pro 100 m. Somit kann die Schneefallgrenze etwa 300 m unterhalb der Nullgradgrenze angenommen werden.

Eine weitere Methode besteht unter Zuhilfenahme der Feuchttemperatur. Dies ist jene Temperatur, die mit einem feuchten Thermometer gemessen wird und in Abhängigkeit der Luftfeuchtigkeit niedriger ist als die „normale“ Temperatur. In der Praxis wird als Schneefallgrenze oftmals ein Grenzwert der Feuchttemperatur von +1,0 bis +1,5°C angenommen. Die Luftfeuchtigkeit wird bei dieser Methode stärker berücksichtigt als bei der einfachen +2°C-Regel. So kann man aus Tabelle 1 ablesen, dass bei +3°C und einer Luftfeuchtigkeit von 80% noch mit Schneefall gerechnet werden kann, da die Feuchttemperatur unter +2°C liegt. Mit Berücksichtigung der Feuchteverhältnisse lassen sich somit auch vorübergehende Schneefälle, die im Zuge einer Studie in Innsbruck bei bis zu +6°C beobachtet wurden, erklären.

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Tabelle 1: Zusammenhang Temperatur/Feuchtigkeit und Feuchttemperatur.

Es gibt noch eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten, eine Prognose oder Analyse der Schneefallgrenze anhand vorgegebener Temperatur- bzw. Feuchteverhältnisse durchzuführen. Viele dieser Methoden liefern aber nur Näherungswerte der Schneefallgrenze, da die Annahme einer standardisierten Temperaturschichtung der Atmosphäre gerade in der komplexen Topographie im Alpenraum oft nicht den wahren Gegebenheiten entspricht.

Schematische Darstellung von Temperaturprofilen bei winterlichen Niederschlagsereignissen

Nachfolgend wird ein Auszug möglicher Wetterlagen bzw. Temperaturschichtungen im Zuge von winterlichen Niederschlagsereignissen gegeben. Diese sind recht einfach dargestellt, zudem wird auch auf das nicht minder wichtige Feuchteprofil verzichtet. Dennoch kann man anhand der Darstellungen auch als Laie die oftmals recht komplexe Fragestellung, welche Niederschlagsart nun auftritt, erkennen.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass während eines winterlichen Niederschlagsereignisses oft ein Wechsel von Regen und Schnee am selben Punkt stattfindet. Die beschriebenen Temperaturprofile stellen somit im Allgemeinen nur einen Zeitpunkt an einem Ort dar und können sowohl zeitlich als auch räumlich im Zuge eines Niederschlagsereignisses variieren.

a) Durchmischte Schicht mit negativen Temperaturen

Die „einfachste“ Form des winterlichen Niederschlags liegt bei einem Temperaturprofil mit negativen Werten in allen Höhen vor.

Der innerhalb von Wolken in großen Höhen gebildete Niederschlag in fester Form (Eis- bzw. Schneekristalle) fällt ohne Änderung des Aggregatzustands bis zum Erdboden. Die Temperaturen sind durchgängig im negativen Bereich.

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Durchmischte Schicht mit negativen Temperaturen. Quelle: ZAMG/Zenkl.

b) Durchmischte Schicht

In diesem Fall liegt eine gut durchmischte Luftschichtung vor, wobei die Temperatur ab einer bestimmten Höhe auf über 0°C ansteigt.

Bei Durchmischung kann wie eingangs erwähnt ein Temperaturgradient von etwa 0,65°C pro 100 m angenommen werden. In Abhängigkeit von der Luftfeuchtigkeit und der Niederschlagsintensität ist die Höhe der Schneefallgrenze somit bis zu 300 m unter der Nullgradgrenze zu bestimmen.

Kommt es zu länger anhaltenden Starkniederschlägen, so kann sich dieses Temperaturprofil sukzessive dem Fall d) angleichen und die Schneefallgrenze somit weiter absinken.

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Durchmischte Schicht. Quelle: ZAMG/Zenkl.

c) „Warme Nase“ in der Höhe

Ein insbesondere bei Durchzug von Warmfronten häufiger Fall wird hier dargestellt. Während in den tiefen Lagen bzw. Tälern noch kalte und frostige Luft lagert, wird/ist es in der Höhe deutlich wärmer. Bleibt die Temperatur in allen Höhen im negativen Bereich oder ist die Schicht mit Temperaturen knapp über 0 °C dünn, so reicht es allgemein für Schneefall bis ganz runter.

Fronten bzw. Störungssysteme mit dieser Eigenschaft zählen nicht nur in den Alpentälern als der Schneebringer schlechthin. Auch vom Klagenfurter Becken über das südöstliche Alpenvorland bis in den Wiener Raum tritt Schneefall oftmals bei ähnlicher Luftschichtung auf. Hier ist das Aufgleiten von warmer Luft aus dem Mittelmeerraum im Zuge eines Adriatiefs der Grund für den milden Einschub in der Höhe.

Man kann sich gut vorstellen, wie sensibel diese Luftschichtung hinsichtlich der Niederschlagsart ist. Nur wenige Zehntelgrade Erwärmung in einer bestimmten Höhe können ausreichen, um die Schneefallgrenze gleich um hunderte Meter nach oben zu schrauben. Sehr rasch kann auch ein Wechsel zu Fall e) entstehen und gefährliche Straßenglätte auftreten.

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„Warme Nase“ in der Höhe. Quelle: ZAMG/Zenkl.

d) Schneefall bei Starkniederschlag mit Isothermie

Hierbei handelt es sich um einen Spezialfall, der aus sämtlichen Temperaturprofilen bei starken Niederschlägen entstehen kann. Der Schmelzprozess beim Übergang von Schneefall in Regen erfordert zusätzliche Energie, die der Luft unterhalb der Nullgradgrenze entzogen wird und diese dadurch abkühlt. Dieser Effekt wirkt natürlich besser, je intensiver der Niederschlag ausfällt. Zudem begünstigt die Topographie diesen Prozess. In einem engen Alpental mit verringertem Luftvolumen und wenig Wind kann die Schneefallgrenze dadurch um viele hundert Meter tiefer zu liegen kommen, als die allgemeine Temperaturschichtung vermuten lässt.

Recht häufig tritt dieser Fall in Südwestösterreich (Osttirol, Oberkärnten) auf. Aber auch im Inntal, in den Tauerntälern Salzburgs sowie im Ennstal kann dieser Effekt für eine „weiße Überraschung“ sorgen.

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Schneefall bei Starkniederschlag mit Isothermie. Quelle: ZAMG/Zenkl.

e) Markante Warmluft in der Höhe mit frostigen Temperaturen in tiefen Schichten

Eine potentiell gefährliche Lage hinsichtlich der Straßenglätte stellt sich bei dieser Luftschichtung ein. Die Schneeflocken schmelzen in der positiv temperierten Schicht und es fällt Regen. In tiefen Lagen ist die Luft leicht im negativen Bereich, die Regentropfen können am kalten Boden dann gefrieren und zu Glatteis führen.

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Markante Warmluft in der Höhe mit frostigen Temperaturen in tiefen Schichten. Quelle: ZAMG/Zenkl.

f) Markante Warmluft in der Höhe mit sehr frostigen Temperaturen in tiefen Schichten

Im Unterschied zu Fall e) kühlen die Regentropfen in der stark negativ temperierten Luft in tiefen Lagen auf Werte unter 0 Grad ab. Es bilden sich Eiskörner oder sogenannte „supercooled“ Regentropfen. Im Unterschied zu Fall e) frieren diese unterkühlten Regentropfen beim Auftreffen auf Oberflächen sofort („Blitzeis“). Neben der Gefahr im Straßenverkehr kann es bei diesem Fall durch die Eislast auch zu Eisbruch an Freileitungen und Bäumen kommen.

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Markante Warmluft in der Höhe mit sehr frostigen Temperaturen in tiefen Schichten. Quelle: ZAMG/Zenkl.