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01.03.2012

Wird das Wetter immer verrückter?

Wird das Wetter immer verrückter?

© ZAMG

Vor wenigen Wochen noch eine ausgeprägte Kältewelle, jetzt Temperaturen stellenweise bei 20 Grad. Müssen wir uns auf immer extremere Schwankungen einstellen?

 

Vor kurzem ist dazu im renommierten Fachmedium „Climatic Change“ eine Studie von zwei jungen Klimaforschern der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien erschienen. Johann Hiebl und Michael Hofstätter haben mit einem neuen wissenschaftlichen Ansatz die Frage untersucht, ob das Wetter in den letzten Jahren immer „verrückter“ geworden ist.

Kurzfassung

Johann Hiebl und Michael Hofstätter (ZAMG Klimaforschung) haben statistische Parameter für die Temperaturvariabilität, also die Wechselhaftigkeit der Temperatur, entwickelt. Diese Parameter wurden für Wetterdaten der letzten 140 Jahre und für verschiedene Regionen Österreichs ermittelt (Wien, Kremsmünster, Innsbruck, Graz und Sonnblick).

Die Ergebnisse sind überraschend. Michael Hofstätter: „Zumindest was die Temperatur betrifft, wird das Wetter nicht ‚verrückter‘. In den letzten 140 Jahren ist es zwar deutlich wärmer geworden, aber die Temperaturschwankungen haben nicht zugenommen. Klimaerwärmung bedeutet also nicht zwingend einen heftigeren und häufigeren Wechsel von warmen und kalten Wetterphasen.“ Interessant ist noch ein anderer Aspekt. Johann Hiebl: „Die Wechselhaftigkeit der Temperatur ist in den letzten Jahrzehnten zwar ganz leicht gestiegen, aber im 19. Jahrhundert war sie auf einem gleich hohen Niveau – lange vor der vom Menschen hauptverursachten Klimaerwärmung.“

In Folgestudien werden die Klimaforscher der ZAMG die neuen Indizes für verschiedene Regionen Europas berechnen und den Zusammenhang zwischen den Ergebnissen und den Änderungen der großräumigen Wettersysteme untersuchen.

Verrückt oder normal?

Wird das Wetter immer sprunghafter, verschwinden gar die Übergangsjahreszeiten? Fragen dieser Art tauchen immer öfter auf. Grund genug für Johann Hiebl und Michael Hofstätter, zwei Klimaforscher der ZAMG, die „Verrücktheit“ des Wetters wissenschaftlich zu untersuchen. Johann Hiebl: „Dass die Lufttemperatur in den letzten 150 Jahren deutlich gestiegen ist und daher Hitzewellen häufiger sind als Kältewellen, steht weitgehend außer Frage. Uns hat interessiert, ob es dabei auch einen Trend zu immer extremeren Wetterkapriolen gibt.“

Schritt 1: Hochwertige Messdaten

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Abb. 1: Die untersuchten Orte (© ZAMG).
Wichtig für die Untersuchung langfristiger Trends sind möglichst lange, hochwertige, tägliche Temperaturreihen. Die ZAMG, der älteste eigenständige Wetterdienst der Welt, hat tägliche Daten bis ins 19. Jahrhundert zur Verfügung. Um die verschiedenen Regionen Österreichs abzubilden, wählten Hiebl und Hofstätter die Wetterstationen Wien-Hohe Warte, Kremsmünster, Innsbruck-Universität, Graz-Universität und Sonnblick für ihre Studie (Abb. 1).

Schritt 2: Konzentration auf das Wesentliche

Die Daten mussten für die Untersuchung speziell aufbereitet werden. Michael Hofstätter: „Um wirklich die reinen Temperaturschwankungen von Tag zu Tag zu bekommen, haben wir alle überlagerten Schwankungen herausgefiltert. Dazu gehört zum Beispiel der bekannte normale Jahresgang der Temperatur, aber auch die je nach Jahreszeit unterschiedlichen Temperaturschwankungen. So gibt es im langjährigen Mittel im August und September immer die geringsten Temperatursprünge und im Jänner die größten. Diese Effekte mussten wir beseitigen, um direkt die Frage „werden die Temperaturextrema häufiger“ untersuchen zu können."

Schritt 3: Ein Index für Verrücktheit

Die Klimaforscher der ZAMG konstruierten drei Parameter, die das Maß der Temperaturschwankungen anzeigen.

Index 1: Sprunghaftigkeit. Die Sprunghaftigkeit (Volatilität) gibt an, wie oft und wie heftig die Temperatur um den Normalwert pendelt. Also wie oft und wie intensiv kalte und warme Wetterphasen wechseln. Mathematisch gesehen ist die Sprunghaftigkeit die Länge der Temperaturlinie.

Index 2: Abweichung. Die Abweichung (Devianz) gibt an, wie weit zu warme und zu kalte Wetterphasen vom Klimamittel entfernt sind. Mathematisch gesehen ist das die Summe der Flächen unter der Temperaturkurve.

Index 3: Wechselhaftigkeit. Die Wechselhaftigkeit (Variabilität) ist die Kombination aus den beiden vorherigen Indizes und gibt an, wie extrem die Temperaturschwankungen insgesamt sind. Sie ist somit ein objektiver mathematischer Parameter für „Verrücktheit“ der Temperatur.

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Abb. 2: Typische Verläufe der Temperaturschwankung (© ZAMG).
Daraus ergeben sich vier möglicher Typen der Wechselhaftigkeit der Temperatur (Abb. 2):

  • „Ruhig“: Geringe Abweichungen vom Durchschnitt.
  • „Durchschnittlich“: Mäßig kalte und warme Wetterphasen, die sich gleichmäßig abwechseln.
  • „Block-Typ“: Ausgeprägte, aber gleichzeitig beständige Temperaturabweichungen.
  • „Turbulent“: Extreme Kalt- und Warmphasen, die einander sehr schnell abwechseln.

Mit den Daten aller Wetterstationen wurden die drei Parameter für die letzten rund 140 Jahre bestimmt und auf Trends und Zusammenhänge hin untersucht.

Die Ergebnisse

Ergebnis 1: Während die Temperatur in den letzten rund 140 Jahren einen klaren Trend nach oben zeigt (+1,8° C), zeigen die drei Variabilitätsparameter keine klare Richtung (Abb. 3). Von 1872 bis 1915 wurden die Temperaturschwankungen immer schwächer. Von 1915 bis 2011 wurden sie wieder ein wenig größer und sind jetzt in etwa auf dem Niveau des 19. Jahrhunderts. Johann Hiebl: „Im Gegensatz zur Temperatur selbst zeigt die ‚Verrücktheit‘ des Temperaturklimas keinen ausgeprägten Anstieg. Selbst etwas erhöhte Werte während der letzten Jahre sind uns aus dem späten 19. Jahrhundert bekannt – also lange vor dem menschlich beeinflussten Klima.“

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Abb. 3: Es wird zwar immer wärmer (ganz oben), aber die Wechselhaftigkeit der Temperatur zeigt keinen eindeutigen Trend (ganz unten; © ZAMG).
Ergebnis 2: Es gibt in Österreich keinen Zusammenhang zwischen der Erwärmung und den Temperaturschwankungen. Michael Hofstätter: „Vereinfacht gesagt: Die Klimaerwärmung bedeutet nicht zwingend ein heftigeren und häufigeren Wechsel von warmen und kalten Wetterphasen. Aussagen wie ‚durch den Klimawandel gibt es immer stärkere Temperaturkapriolen‘ stimmen für Österreich somit nicht.“

Ergebnis 3: Der schwache Anstieg der Temperaturschwankungen von 1915 bis jetzt ist vor allem auf das Sommerhalbjahr zurückzuführen. Im Winterhalbjahr gibt es für diesen Zeitraum keinen Trend nach oben oder unten.

Ergebnis 4: Entgegen der Wahrnehmung vieler Menschen traten die auffälligsten Jahre nicht in der letzten Zeit auf. Das ruhigste Jahr war 1904, das turbulenteste Jahr 1940, während 1942 am ehesten dem Blocktyp entsprach.

Die Ergebnisse verdeutlichen, wie wichtig es ist, wirklich lange Messreihen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen, zur Verfügung zu haben. Michael Hofstätter: „Nur so lassen sich haltbare Aussagen zu Veränderungen von Klimaextremen ableiten. Das zeigt den Wert der langfristigen Klimaaufzeichnungen an der ZAMG.“

Ausblick

Mit den neuen Indizes steht ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem man jederzeit objektiv die aktuelle Schwankungsbreite der Temperatur bestimmen kann und beliebige Zeiträume miteinander vergleichen kann. In Folgestudien werden die beiden Klimaforscher der ZAMG in zwei Richtungen arbeiten. Zum einen werden die neuen Indizes für verschiedene Regionen Europas berechnet, um großräumigere Aussagen treffen zu können. Zum anderen wird der Zusammenhang mit geänderten Mustern der atmosphärischen Zirkulation untersucht.

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