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13.06.2019

Überdurchschnittlich viel Schnee auf den Gletschern, aber für Massenbilanz ist Sommer entscheidend

Überdurchschnittlich viel Schnee auf den Gletschern, aber für Massenbilanz ist Sommer entscheidend

©ZAMG/Weyss

Die von der ZAMG regelmäßig vermessenen Gletscher in den Hohen Tauern starten mit überdurchschnittlich viel Schnee in das Sommerhalbjahr (teils 20 Prozent mehr als im Mittel der letzten 20 Jahre). Für die langfristige Entwicklung der Gletscher sind aber die Sommer entscheidend. Eine frische Schneedecke am Gletscher reflektiert einen Großteil der Sonnenstrahlung. Gletschereis, das dunkler ist, kann mehr Sonnenstrahlung aufnehmen und kann im Sommer in einer Woche um rund einen halben Meter abnehmen.
Die Pasterze, Österreichs größter Gletscher, verlor in den letzten fünf Jahren 16 Prozent ihrer Eismasse.

Im Rahmen des Gletscherbeobachtungsprogramms der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) wird jedes Jahr Ende April gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur der Massenzuwachs der Gletscher am Hohen Sonnblick ermittelt. Hier befinden sich das Goldbergkees mit 1,4 Quadratkilometer Fläche und das Kleinfleißkees mit 0,8 Quadratkilometer Fläche.

Über 400 händische Messungen zur Berechnung der Massenbilanz

Um den Massenzuwachs im vergangenen Winter zu berechnen, wurde an rund 400 Punkten am Gletscher die Schneehöhe mit Sonden gemessen. An weiteren sechs Positionen wurden Schneeschächte gegraben und die Schneedichte und die Schneetemperatur erhoben. Die mittlere Schneehöhe lag am Goldbergkees bei 440 Zentimeter und am Kleinfleißkees bei 400 Zentimeter. Aus den gemessenen Schneehöhen und den Schneedichten wurde berechnet, welche Masse an Wasser in der Schneedecke enthalten ist.

Massenzuwachs von knapp zwei Meter Wassersäule

„Der Winter war für die Gletscher gut", sagt ZAMG-Gletscherforscher Anton Neureiter, „Der Massenzuwachs am Goldbergkees liegt bei 10 Prozent über dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre und entspricht einer Wassersäule mit einer Höhe von 1900 Millimeter. Das Kleinfleißkees hat im vergangenen Winter 20 Prozent mehr Masse gewonnen als in einem durchschnittlichen Winter. Das entspricht einer Wassersäule mit 1710 Millimeter Höhe."

Rekord bei der Rudolfshütte: höchste Juni-Schneehöhe

Nach den Messungen im heurigen April ließ der kühle und feuchte Mai die Schneedecke im Hochgebirge nochmals um rund 100 bis 150 Zentimeter wachsen. Vereinzelt gab es dabei sogar Rekorde. So wurde an der ZAMG Wetterstation Rudolfshütte (S, Hohe Tauern, 2317 Meter Seehöhe) am 1. Juni 2019 eine Schneehöhe von 342 Zentimeter gemessen. Das ist die höchste Schneehöhe in einem Juni an dieser Messstation. Der bisherige Juni-Rekord war hier 310 Zentimeter, gemessen am 4. Juni 1980.

Für Österreichs Gletscher sind die Sommer entscheidend

Allerdings hat die Schneemenge des Winterhalbjahres nur einen geringen Einfluss auf die Entwicklung der Gletscher. „Für die langfristige Entwicklung der Gletscher in Österreich ist die Witterung im Sommer wichtiger als im Winter", erklärt Gletscherexperte Neureiter. „Entscheidend ist, ob die gelegentlichen Kaltlufteinbrüche im Sommer auf den Gletschern Schnee oder Regen bringen. Denn eine frische, sehr weiße Schneedecke eines sommerlichen Schneefalles reflektiert die Sonnenstrahlen zu fast 100 Prozent und kann den Gletscher bis zu einer Woche vor dem Schmelzen schützen. Ein Gletscher ohne Neuschnee ist hingegen viel dunkler, nimmt daher viel Sonnenstrahlung auf und kann in einer Woche bis zu einem halben Meter Eisdicke verlieren."

Vorzeigeprojekt im internationalen Gletschermonitoring

Die regelmäßige Ermittlung der Massenbilanz der Gletscher in der Sonnblick-Region und der Pasterze durch die ZAMG sind mittlerweile ein Vorzeigeprojekt für ein standardisiertes Monitoring im Global Cryosphere Watch Programm der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Die Messserien zeigen das Schrumpfen der Alpengletscher als direkte Folge der gegenwärtigen Erwärmung. „Durch die detaillierte Messung von räumlich verteilter Winter- und Jahresbilanz, zeitlich hochauflösender Energie- und Massenbilanz und des Gebietsabflusses, der Messung des Klimas am Sonnblick und räumlich verteilter Messungen des Niederschlags und der Schneehöhe wurde ein Langzeit-Datensatz weitergeführt, anhand dessen sich unser Prozessverständnis und unsere Modellvorstellungen bezüglich der Wechselwirkung zwischen Klima und Gletschern im Konkreten und der Gebirgshydrologie im Allgemeinen ständig verfeinern", sagt ZAMG-Glaziologe Anton Neureiter.

Pasterze verlor in den letzten fünf Jahren 16 Prozent ihrer Eismasse

Die drei Gletscher Goldbergkees, Kleinfleißkees und Pasterze sind im Beobachtungszeitraum der letzten fünf Jahre stärker geschmolzen als in vergleichbaren 5-Jahreszeiträumen zuvor (obwohl das Jahr 2014 auf den Gletschern am Sonnblick seit langem wieder einen zwischenzeitlichen Massenzuwachs gebracht hat). Die Sommer 2015, 2017 und 2018 waren extrem heiß, sodass die Gletscher in diesen Sommern pro Jahr fast zwei Meter an Eisdicke verloren haben. In den letzten fünf Jahren haben die Gletscher an der Oberfläche (klimatisch bedingte Massenänderung) 6,3 Meter (Sonnblickgletscher) bzw. 7,0 Meter (Pasterze) an Eisdicke verloren. Das entspricht etwa 18 Prozent bzw. 16 Prozent ihrer Gesamtmasse.

Automatische Kameras zeigen Entwicklung der Gletscher

Im Rahmen des Projekts wurde ein völlig autarkes und relativ wartungsarmes Messnetz von automatischen Kameras aufgebaut. Neben dem Monitoring und der Visualisierung der laufenden Veränderungen der Gletscher dienen die Fotos vor allem einer besseren Erfassung der räumlichen Verteilung der Schneebedeckung und der Abschmelzung. Das erhöht auch die Genauigkeit der Massenbilanzmessung. Um die zeitliche Variabilität der Zunahme und Abnahme genauer erfassen zu können, wurden die bestehenden Energiebilanzstationen durch Ablationssensoren (damit wird die Schmelzrate gemessen) erweitert und auch eine zusätzliche Station auf der Pasterze installiert. Fast alle dieser Messstationen sind mittlerweile mit Datenübertragung ausgestattet, sodass der Zustand der Gletscher online in Nahe-Echtzeit zur Verfügung steht.

Weltweit herausragende Messreihe der Schneechemie

Im Rahmen des Gletschermonitorings wird auch die chemische Zusammensetzung der Schneedecke analysiert. Diese Auswertungen der Schneechemie sind mittlerweile zu einer weltweit einzigartigen Messreihe angewachsen. Denn der Messort ist weit entfernt von unmittelbaren menschlichen Einflüssen (wie Siedlungen oder Schigebieten) und die Messreihe umfasst bereits mehr als 30 Jahre. Die Daten der Ionenkonzentrationen erlauben Aussagen über Langzeittrends sowie detaillierte Auswertungen von außergewöhnlichen Depositionsereignissen aus Ferntransport wie zum Beispiel Saharastaub.

Erfolg durch Umweltschutz: Einige Schadstoffe sind deutlich zurückgegangen

„Besonders eindrucksvoll zeigt sich im Langzeitmonitoring der Rückgang der Sulfatbelastung vom Beginn der 1980er-Jahre bis heute um 70 Prozent sowie der Rückgang der Nitratbelastungen um 30 Prozent", sagt die ZAMG-Expertin für Schneechemie Marion Greilinger. „Diese beiden Ionen gelten als die Hauptverursacher für den Säureeintrag in die Schneedecke. Die Versauerung der untersuchten Gletscher ist somit rückläufig. Die Hauptquellen von Sulfat und Nitrat in der Schneedecke sind Schwefeldioxid und Stickoxid, die überwiegend aus Abgasen von Industrie und Verkehr aus Europa stammen. Diese Emissionen wurden über die letzten Jahrzehnte europaweit stark reguliert und reduziert, wodurch sich mittlerweile positive Auswirkungen auf die Umwelt erkennen lassen. Alle anderen untersuchten Ionen, wie zum Beispiel Ammonium, zeigen hingegen noch keinen signifikanten Trend."

Saharastaub-Ereignisse der letzten 30 Jahre in der Schneedecke

Außerdem wurde eine spezielle Methode zur Identifikation von Schichten mit Saharastaub entwickelt. Sie ermöglicht, Saharastaub im Schnee auch retrospektiv anhand der gemessenen chemischen Zusammensetzung und somit für die gesamte 30-jährige Zeitreihe zu identifizieren. Das hilft, den Einfluss auf den Ioneneintrag und auf den Säurehaushalt der Schneedecke zu untersuchen.

Derartige Untersuchungen sind wichtig, da die Luftschadstoffe bei der Schneeschmelze in angrenzende Ökosysteme gelangen. Besonders Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid und Stickoxid führen dabei zu einem sehr sauren Schmelzwasser, wodurch ein Säureschock in Bächen, Flüssen und Böden möglich ist, der sich auch auf die Tier- und Pflanzenwelt auswirkt. Zudem beschleunigt der von Wüstenstaub gelb-rötlich gefärbte Schnee das Abschmelzen der Schneedecke durch die erhöhte Absorption von Sonnenstrahlung.

Österreichische Kooperation im Rahmen von Global Crysphere Watch

Das laufende Gletscher- und Schneedeckenmonitoring auf den Gletschern des Sonnblicks und der Pasterze ist Teil des Programms Global Cryosphere Watch der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und wird vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus finanziert.

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Gletschermessungen in der Sonnblickregion im Frühling 2019: Ermittlung der Schneedichte im Schneeschacht zur Berechnung der Massenbilanz. Quelle: ZAMG/Weyss. –>Link zum Bild in Originalgröße

Gletschermessungen in der Sonnblickregion im Frühling 2019: Bestimmen der Kornform und der Korngröße der Schneekristalle. Quelle: ZAMG/Weyss. Quelle: ZAMG/Weyss. –>Link zum Bild in Originalgröße

Animiertes GIF hier laden: ->animiertes GIF Pasterze Die Animation zeigt die Ausaperung der Pasterzenzunge jeweils am 02.06. für die Jahre 2016, 2017, 2018, 2019. (automatische Kamera Freiwandeck. Im Frühling 2019 lag Anfang Juni überdurchschnittlich viel Schnee. Quelle ZAMG.

Die Gletscher schmolzen in fast allen Jahren deutlich: Zeitreihe der gemessenen mittleren jährlichen Massenbilanz in Meter Wasseräquivalent. Mittelwerte über die gesamte Messreihe sind in grau dargestellt. Der Mittelwert über die letzten zehn Jahre ist in schwarz dargestellt. Derzeit verlieren die Gletscher pro Jahr 1,3 bis 1,4 Meter an Eisdicke. Quelle ZAMG. –>Link zum Bild in Originalgröße

Massenbilanz der Sonnblick-Gletscher im Winterhalbjahr: Räumliche Verteilung der Wintermassenbilanzen 2014 bis 2018 am Goldbergkees und am Kleinfleißkees. In fast allen Jahren überwiegen die Abnahmen. Die Punkte markieren Sondierungen, die Rechtecke die Orte der Schneeprofile. Quelle ZAMG. –>Link zum Bild in Originalgröße

Massenbilanz der Sonnblick-Gletscher im gesamten Jahr: Räumliche Verteilung der Jahresmassenbilanzen 2014 bis 2018 am Goldbergkees und am Kleinfleißkees. 2014 gab es leichte Zuwächse, sonst fast durchwegs Abnahmen. Quelle ZAMG. –>Link zum Bild in Originalgröße

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Web-Links

Webcam Goldbergkees:www.foto-webcam.eu/webcam/goldbergkees

Webcam Kleinfleißkees: www.foto-webcam.eu/webcam/kleinfleisskees

Webcam Sonnblick (mit Blick auf Fleißscharte, die Grenze zwischen Goldbergkees und Kleinfleißkees): www.foto-webcam.eu/webcam/sonnblick

Webcam Pasterze: www.foto-webcam.eu/webcam/freiwandeck

ZAMG Gletscherforschung: www.zamg.at/cms/de/klima/klimaforschung/glaziologie

World Glacier Monitoring Service: www.wgms.ch

Global Cryosphere Watch: www.globalcryospherewatch.org

ZAMG allgemein: www.zamg.at und www.facebook.com/zamg.at

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