Tropfsteine

Der chemische Inhalt von Stalaktiten und Stalagmiten erzählt von den Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen zu ihrer Entstehungszeit.

Klimabelege aus Höhlen

Ein weiteres indirektes Klimaarchiv sind Tropfsteine, deren Ausprägungen in Form von Stalagmiten und Stalaktiten in Höhlen nahezu aller Regionen der Welt zu finden sind. Die Sauerstoffisotopen im Kalk dieser Tropfsteine, die Dicke der Wachstumslagen und Konzentrationen von Spurenelementen speichern klimarelevante Daten und ermöglichen mit geochemischen Analysemethoden Rückschlüsse auf vergangene Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse.

Tropfsteine (Speläotheme) entstehen, wenn versickerndes Niederschlags- oder Oberflächenwasser auf seinem Weg durch die Bodenhorizonte mit Kohlendioxid (CO2) angereichert wird und den im Gestein befindlichen Kalk (Kalziumkarbonat, CaCO3) löst. Trifft die durchsickernde Lösung auf einen Höhlenraum, so entweicht bei der Tropfenbildung das CO2 und kristallines CaCO3 fällt aus (Abb. 1 links). Von der Höhlendecke wächst ein Stalaktit. Reißt der Tropfen von der Höhlendecke, so wird beim Auftreffen des noch kalkhaltigen Tropfens am Höhlenboden wiederum CO2 freigesetzt und CaCO3 ausgefällt. Ein Stalagmit entsteht. Somit bilden sich Jahr für Jahr hauchdünne Kalkschichten, die ein Kalendarium der Vergangenheit entstehen lassen (Abb. 1 rechts).

Konstanter Bildungsprozess – idealer Klimakalender

Es finden sich Exemplare unterschiedlichsten Alters, von wenigen Jahrzehnten bis hin zu Jahrhunderttausenden – je nachdem wie lange der Bildungsprozess aufrecht geblieben ist, also Tropfwasser zugeführt wurde und der Tropfstein nicht abgebrochen ist. Durch die im Tropfwasser gelösten, geringen Konzentrationen an radioaktivem Uran, das zu Thorium zerfällt, lässt sich das Alter des Steines bestimmen.

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Abb. 1: Links: Beim Abtropfen von der Spitze eines Stalaktiten fällt kristalliner Kalk aus. Rechts: Die Fantasiehalle des Katerlochs in der Steiermark. Mehrere Meter hohe Kerzenstalagmiten zeichnen sich durch gleichmäßiges Wachstum (0,2–1 mm/Jahr) aus. Das Katerloch ist eine der am besten erforschten Höhlen in Österreich (Boch 2008).

 

Für die Ableitung von Klimainformationen dient einerseits die Dicke der Wachstumslagen (Laminierung), ähnlich den Wachstumsringen bei Bäumen, zur Analyse der Ablagerungsgeschwindigkeit (Sedimentationsrate) (Abb. 2). Andererseits wird, wie schon bei den Tiefseebohrkernen, das Verhältnis der stabilen Sauerstoffisotopen 18O und 16O ausgewertet. Die Isotopen werden in klimatischer Abhängigkeit in unterschiedlichen Verhältnissen in den Kalk eingelagert und lassen so einen Einblick in die Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse während der Entstehung der Stalagmiten und Stalaktiten zu.

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Abb. 2: Das Alter dieses deutlich laminierten Stalagmit aus der Klaus-Cramer-Höhle in Vorarlberg konnte an der Basis auf etwa 492.000 Jahre bestimmt werden (Boch R., Institut für Geologie und Paläontologie, Universität Innsbruck).

Das Klima im Zillertal vor 50.000 Jahren

In Abbildung 3 sind zwei Temperaturkurven, die aus der Analyse von stabilen Sauerstoffisotopen aus Tropfsteinen abgeleitet wurden, dargestellt. Diese stammen aus der Spannagelhöhle und der Kleegrubenhöhle im Zillertal. Diese Höhlen weisen ideale Bedingungen für die Klimaanalyse auf, weil die Temperatur im Inneren der Höhle übers Jahr konstant 2° C beträgt, weshalb kaum störende chemische Prozesse ablaufen. Beide Tropfsteinsegmente zeigen eine deutliche Klimavariabilität in verschiedenen Zeitskalen. Die Temperaturreihe der letzten beiden Jahrtausende, die aus dem Spannagel-Stalagmit rekonstruiert wurde, veranschaulicht gut den Übergang vom wärmeren Mittelalter zur darauf folgenden Kleinen Eiszeit. Der Kleegruben-Stalagmit aus der Würm-Eiszeit (58.000–48.000 Jahre vor heute) zeigt die Dansgaard-Oeschger-Ereignisse (rasche Klimaschwankungen, die mit Unterbrechungen der atlantischen thermohalinen Zirkulation in Beziehung stehen).

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Abb. 3: Klimakalender aus Zillertaler Tropfsteinen. Oben: Eine 2000 Jahre lange Temperaturrekonstruktion aus stabilen Sauerstoffisotopen eines Stalagmiten der Spannagelhöhle (Mangini u.a. 2005). Unten: Eine 10.000 Jahre lange Sauerstoffisotopenreihe eines Stalagmiten aus der Kleegrubenhöhle (Spötl u.a. 2006).

 

Literatur:

Wir danken Dr. Ronny Boch vom Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Innsbruck, der zu diesem Artikel mit seiner Fachexpertise wesentlich beigetragen hat.

Boch R. (2008): Stalagmites from Katerloch Cave, Austria. Growth dynamics and high-resolution records of climate change. Innsbruck: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Dissertation, 223 Seiten, doi: 10.13140/RG.2.1.2932.6320

Böhm R. (2010): Heiße Luft – nach Kopenhagen. Reizwort Klimawandel. Fakten – Ängste Geschäfte. 2. Aufl. Wien, Klosterneuburg: Edition Va Bene, 280 Seiten, ISBN 978-3851672435

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Hill C., Forti P. (1997): Cave minerals of the world. 2. Aufl. Huntsville: National Speleological Society of America, 463 Seiten, ISBN 978-1879961074

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Mangini A., Spötl C., Verdes P. (2005): Reconstruction of temperature in the Central Alps during the past 2,000 yr from a 18O stalagmite record. Earth and Planetary Science Letters 235, 741–751, doi:10.1016/j.epsl.2005.05.010

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Spötl C., Offenbecher K.H., Boch R., Meyer M., Mangini A., Kramers J., Pavuza R. (2007): Tropfstein-Forschung in österreichischen Höhlen. Ein Überblick. Jahrbuch der Geologischen Bundesanstalt 147, 117–167 (PDF-Datei; 12,9 MB)

Universität Heidelberg: Blättern im Buch der Klimageschichte. Stalagmiten zeugen vom Klima der letzten Jahrtausende. http://www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca07-3/klima.html, abgerufen am 19.08.2022

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