Seesedimente

Das Gedächtnis der Gewässer

Auf dem Grund stehender Gewässer sammeln sich Partikel aus dem Wasser und der Umgebung an. Durch diese kontinuierliche Ablagerung entstehen im Laufe von Jahrtausenden mehrere Meter dicke, schlammige Schichten. Diese Seesedimente stellen im Idealfall lückenlose Klimakalender dar, die ähnlich Baumringen Schicht für Schicht die Umweltbedingungen der Vergangenheit gespeichert haben.

Ein Großteil der heute existierenden Seen wurde am Ende des Pleistozäns durch Gletscheraktivitäten gebildet. Das macht Seen zu relativ jungen Systemen. Seesedimente enthalten eine große Vielfalt an Informationen, welche die Umweltbedingungen zur Zeit ihrer Ablagerung reflektieren – und zwar sowohl die Vorgänge im Einzugsgebiet als auch im See selbst.

Informationsspeicher Seegrund

Ihre Hauptbestandteile sind mineralische Komponenten, organische Substanzen und Mikrofossilien. Vor allem eingeschlossene biologische Überreste wie fossile Kieselalgen, Zuckmückenlarven, Muschelkrebse und Pollen erlauben es, historische Klima- und Umweltbedingungen zu rekonstruieren. So können Wasser- und Lufttemperaturen, Wasserstandsänderungen und die Vegetation der Umgebung rekonstruiert werden. Zusätzlich liefern mineralische Komponenten im Sediment Hinweise auf klimatisch gesteuerte Einträge aus Staub, Erosion, Verwitterung oder auch von Gletscherschutt aus den Gebirgsregionen.

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Abb. 1: Muschelkrebse (Ostrakoden), die in Seesedimenten gefunden werden können, dienen zur Klimarekonstruktion. Anhand ihrer Schalen wird das Verhältnis des schwereren 18O-Isotops zum leichteren 16O-Isotop gemessen (Gornitz 2009).

Die Bildung von Seesedimenten wird – neben vielen anderen Prozessen – vom Klima gesteuert. So wirken sich klimatische Änderungen auf die Produktivität und Durchmischung der Seen selbst, aber auch auf viele Prozesse im Einzugsgebiet, vor allem Bodenbildung, Bewuchs, Erosion und Verwitterung, aus. Daneben beeinflussen die Geologie des Einzugsgebietes und atmosphärische Einträge die Zusammensetzung der Seesedimente. Da sich aber die Geologie eines Einzugsgebietes im relevanten Zeitmaßstab nicht signifikant ändert, reflektieren Variationen in den Seesedimenten in erster Linie Klimaänderungen.

Schichtung ermöglicht Bestimmung einzelner Jahre

Schicht für Schicht zeichnen Seesedimente sich ändernde Umweltbedingungen auf und dokumentieren somit den Klimawandel. Die einzelnen Schichten können mit Hilfe von Gammaspektrometrie oder Radiokohlenstoff datiert werden. Die zeitliche Auflösung reicht von Jahrzehnten bis zu einzelnen Jahren (Abb. 2).

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Abb. 2: Hochauflösender δ18O-Verlauf der letzten 15.000 Jahre (von rechts nach links) rekonstruiert aus Ostrakoden (Muschelkrebsen) aus dem Ammersee in Bayern (blau) im Vergleich zum δ18O-Verlauf aus einem grönländischen Eisbohrkern (schwarz). Jüngere Dryas (YD), Misox-Schwankung (Pfeil) und Kleine Eiszeit (LIA) sind gekennzeichnet (von Grafenstein u.a. 1999).

 

Literatur:

Wir danken Dr. Karin Koinig vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck, die zu diesem Artikel mit ihrer Fachexpertise wesentlich beigetragen hat.

Böhm R. (2010): Heiße Luft – nach Kopenhagen. Reizwort Klimawandel. Fakten – Ängste Geschäfte. 2. Aufl. Wien, Klosterneuburg: Edition Va Bene, 280 Seiten, ISBN 978-3851672435

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Gornitz V. (Hg.) (2009): Encyclopedia of paleoclimatology and ancient environments. New York: Springer, 1049 Seiten, ISBN 978-1-4020-4551-6

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