Längenänderung

Von Gletschervorstößen und -rückzügen

Im Unterschied zur aufwändigen Messung der Massenänderung eines Gletschers ist es relativ einfach, einmal im Jahr die Position des Gletscherendes zu bestimmen. Nach der traditionellen Methode werden dazu im Gletschervorfeld über die gesamte Breite des Gletschers einige Punkte markiert, von denen aus jährlich der Abstand zum Eisrand gemessen wird. Die Differenz zur Messung im Vorjahr ist die Längenänderung: entweder stieß der Gletscher vor oder er zog sich zurück.

Will man nun diese weltweit durchgeführten Längenänderungen (Abb. 1) durch Schwankungen des Klimas erklären, steht man vor dem Problem, dass jeder Gletscher abhängig von vielen Faktoren – u.a. seiner Größe, seiner Fließdynamik, seiner speziellen Topographie – unterschiedlich stark und träge auf Klimaänderungen reagiert. Viele dieser Faktoren zu kennen ist nur für einzelne, sehr gut untersuchte Gletscher möglich. Durch die große Anzahl weltweiter Messungen können aber statistische Beziehungen zwischen Längenänderungen und dem Klima hergestellt werden.

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Abb. 1: Alljährliche Messung des Gletschervorstoßes oder -rückzugs in der Goldberggruppe in den Hohen Tauern mit dem Maßband (links) oder einem Infrarot-Entfernungsmessgerät (rechts) (Böhm R., ZAMG).

Gute Ortskenntnis vorausgesetzt

In den Alpen begann man schon Mitte des 19. Jahrhunderts vereinzelte Längenänderungen zu messen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschah dies bereits an über 100 Gletschern. Heute wird die Länge an etwa 1.800 Gletscher weltweit beobachtet. In Österreich werden diese Messungen von zu einem großen Teil von Freiwilligen durchgeführt und vom Österreichischen Alpenverein (ÖAV) koordiniert. Die Längenänderungen von Österreichs Gletschern werden alljährlich im Gletscherbericht des ÖAV veröffentlicht und auch an das World Glacier Monitoring Service (WGMS) in Zürich weitergegeben.

36.000 Längenmessungen an 1800 Gletschern der Erde

Die Anzahl der in Österreich gemessenen Gletscher und deren jeweiliges Verhalten sind in Abbildung 2 dargestellt. Bis auf die zwei Perioden um 1920 und 1980, in denen ein kühleres und feuchteres Klima viele Gletscher kurzfristig vorstoßen ließ, zeigen die Gletscher einen deutlichen Trend zum Rückgang. Ein ähnlicher Trend ist – wenn auch unterschiedlich in einzelnen Regionen – aus Abbildung 3 erkennbar, in der die Anzahl der vorstoßenden und sich zurückziehenden Gletscher weltweit dargestellt ist.

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Abb. 2: Entwicklung der Anzahl der Gletscher in Österreich, an denen jährliche Messungen der Längenänderungen durchgeführt werden. Zugleich sind vorstoßende (blau) und sich zurückziehende Gletscher (rot) gekennzeichnet (Fischer 2013).

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Abb. 3: Entwicklung der Anzahl der Gletscher in verschiedenen Regionen der Erde, an denen jährliche Messungen der Längenänderungen durchgeführt werden. Zugleich sind vorstoßende (blau) und sich zurückziehende Gletscher (rot) gekennzeichnet. Zu beachten ist die unterschiedliche Skalierung der Ordinate (WGMS 2008b).

Am Goldbergkees in den Hohen Tauern werden diese jährlichen Messungen seit 1896 durchgeführt und dokumentieren den steten Rückzug des Goldbergkeeses seit nunmehr über einem Jahrhundert (Abb. 4). Insgesamt verlor das Kees im letzten Jahrhundert um ca. 600 m an Länge.

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Abb. 4: Jährliche Längenänderung des Goldbergkeeses in den Hohen Tauern seit 1896 (grün) und kumulativer Gletscherrückgang seit dem Hochstand der Kleinen Eiszeit um 1850 (blau) (Böhm u.a. 2007).

Ergänzende Flächenmessungen

Zusätzlich können anhand von Fernerkundungsmethoden die Flächenänderung eines Gletschers erfasst werden. Flächenänderungen können als kumulative Längenänderungen verstanden und so mit diesen verknüpft werden. Abbildung 5 zeigt den Rückgang der vergletscherten Fläche in der Goldberggruppe seit dem Hochstand der Kleinen Eiszeit um 1850 bis 1998. Die Gletscher sind auf etwa ein Viertel ihrer damaligen Ausdehnung geschrumpft. Die Gletscherflächen von 1850 wurden unter Zuhilfenahme von Moränen und Vegetationsgrenzen rekonstruiert.

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Abb. 5: Vergletscherte Fläche der Goldberggruppe in den Hohen Tauern um 1850, 1930/32 und 1998 (Böhm u.a. 2007).

 

Literatur:

Böhm R., Schöner W., Auer I., Hynek B., Kroisleitner C., Weyss G. (2007): Gletscher im Klimawandel. Vom Eis der Polargebiete zum Goldbergkees in den Hohen Tauern. Wien: Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, 111 Seiten, ISBN 987-3200010130

Fischer A. (2013): Gletscherbericht 2011/2012. Sammelbericht über die Gletschermessungen des Oesterreichischen Alpenvereins im Jahre 2012. Bergauf 02/2013, 30–36 (Website)

Oerlemans J. (2005): Extracting a climate signal from 169 glacier records. Science 308/5722, 675–677, doi:10.1126/science.110746

WGMS (Hg.) (2008a): Fluctuations of glaciers 2000–2005, Volume IX. Zürich: World Glacier Monitoring Service, 266 Seiten (PDF-Datei; 0,8 MB) (Website)

WGMS (Hg.) (2008b): Global glacier changes: facts and figures. Zürich: World Glacier Monitoring Service, 88 Seiten, doi:10.5167/uzh-4173

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