Vergangenheit

Starke Meeresspiegelschwankungen

Während der letzten 500 Mio. Jahre lag der Meeresspiegel meist wesentlich höher, während der letzten 500.000 Jahre hingegen meist deutlich tiefer als heute. Am Ende der letzten Kaltzeit begünstigten Landbrücken die Verbreitung des Menschen. Erst die jüngsten zwei Jahrtausende verliefen ungewöhnlich stabil.

Auf der ganz langen Zeitskala von einigen Jahrhundertmillionen bis Jahrmillionen sind es in erster Linie die tiefgreifenden Veränderungen der Kontinente und Ozeanbecken durch die Plattentektonik, die zu Schwankungen zwischen 600 m über und mehr als 100 m unter dem heutigen Niveau geführt haben (Abb. 1).

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Abb. 1: Rekonstruktion der Veränderungen des mittleren globalen Meeresspiegels während der letzten 600 Mio. Jahre (Hallam 1984).

Parallellauf mit Kalt- und Warmzeit-Zyklus

Auf der Skala von Jahrhunderttausenden bis Jahrtausenden dominiert ein ganz anderer Prozess, nämlich die drastische Veränderung des globalen Wasserhaushaltes. Dafür hat sich der Ausdruck „eustatische Meeresspiegelschwankungen“ eingebürgert. Im Speziellen hat die Ablagerung von großen Mengen Eis auf den Kontinenten während der Kaltzeiten (Glaziale) und deren Abschmelzen in den Wärmeperioden (Interglaziale) des aktuellen Eiszeitalters zu dramatischen Änderungen des globalen Gesamtvolumens an flüssigem Wasser geführt. Dadurch ist es zu den in Abbildung 2 dargestellten Meeresspiegelschwankungen im Takt der astronomischen Zyklen der Erdbahnparameter gekommen. Auf dieser kürzeren Zeitskala reichten die Schwankungen immer noch von –120 m bis +5 m gegenüber dem heutigen Niveau. In der letzten Kaltzeit fielen ein großer Teil der Adria und der Ärmelkanal sogar trocken. Im Gegensatz zur Dominanz höherer Niveaus auf der langen Zeitskala (Abb. 1) ist im Eiszeitalter ein niedrigerer Meeresspiegel als heute typisch.

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Abb. 2: Rekonstruktion der eustatischen Veränderungen des mittleren globalen Meeresspiegels während der letzten 500.000 Jahre im astronomischen Rhythmus der Kalt- und Warmzeiten (Rohling u.a. 2009).

Die Meeresspiegelhöhe schreibt Geschichte

Mit dem raschen Anstieg des Meeresspiegels während des Übergangs von der letzten Kaltzeit zum Holozän in den letzten 25.000 Jahren ist eine für die Menschheitsgeschichte bedeutsame Zeitskala erreicht. Mittlerweile geflutete Landbrücken wie die Beringstraße begünstigten die Verbreitung des Menschen. Bis vor etwa 6.000 Jahren stieg im Zuge des Abschmelzens der beiden Inlandvereisungen Nordamerikas und Nordeurasiens der Meeresspiegel um durchschnittlich 1 m pro Jahrhundert mit Spitzenwerten von 4 m. Nach ihrem endgültigen Abschmelzen flachte die Anstiegsrate deutlich ab. In den folgenden 4.000 Jahren sorgte die weitere langsame Anpassung der verbliebenen Inlandeismassen der Antarktis und Grönlands an die neuen Klimaverhältnisse, zusammen mit der thermischen Ausdehnung des sich erwärmenden Ozeanwassers, für einen weiteren Anstieg um etwa 2,5 m (62 cm pro Jahrhundert) – und das trotz des während des Holozän konstanten bis leicht rückläufigen Temperaturtrends.

Erst seit 2.000 Jahren weitgehend stabil

Seit rund 2.000 Jahren ist der globale Meeresspiegel bis zum frühen 19. Jahrhundert kaum noch gestiegen. In der historischen Zeit kam es in den verschiedenen Küstenregionen trotzdem zu unterschiedlichen Vorstößen (Transgressionen) des Meeres, die unterschiedliche Ursachen hatten. Diese reichen von windgetriebenen Sturmfluten, wie etwa der „großen Manntränke“ vom Jänner 1362 an den Nordseeküsten Englands, der Niederlande und Deutschlands, bis zu langsamen Landabsenkungen durch anthropogene Ursachen (Trockenlegung von Mooren, Salzabbau, Wasserentnahmen aus dem Untergrund im Gebiet von Städten wie in Venedig und Bangkok usw.).

Isostatische Ausgleichsdynamik

Langsam, aber regional sehr deutlich wirkt sich die postglaziale, isostatische Ausgleichsdynamik auf Küstengebiete aus. So haben sich die zentralen Gebiete des ehemaligen fennoskandischen Eisschildes seit seinem Abschmelzen um mehr als 200 m gehoben, die zentrale Hudson Bay um rund 300 m. Diese isostatische Hebung ist die Reaktion der festen Erde (genauer des „viskoelastischen Lithosphären-Asthenosphären-Verbunds“) auf die nicht mehr vorhandene kalte Auflast von 2.000 bis 3.000 m dickem Eis. Dieser Hebungsprozess ist gegenwärtig immer noch im Gang.

 

Literatur:

Church J.A., Woodworth P.L., Aarup T., Wilson W.S. (Hg.) (2010): Understanding sea-level rise and variability. Chichester: Wiley-Blackwell, 428 Seiten, ISBN 978-1-4443-3452-4

Emery K.O., Aubrey D.G. (1985): Glacial rebound and relative sea levels in Europe from tide-gauge records. Tectonophysics 120, 239–255, doi:10.1016/0040-1951(85)90053-8

Hallam A. (1984): Pre-quaternary sea-level changes. Annual Review of Earth and Planetary Sciences 12, 205–243, doi:10.1146/annurev.ea.12.050184.001225

Rohling E.J., Grant K., Bolshaw M., Roberts A.P., Siddall M., Hemleben C.H., Kucera M. (2009): Antarctic temperature and global sea level closely coupled over the past five glacial cycles. Nature Geoscience 2, 500–504, doi:10.1038/ngeo557

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