Regionen der Antarktis

Westantarktis ist nicht Ostantarktis

Die Antarktis kann man grob in drei Regionen einteilen, welche sich geografisch grundlegend unterscheiden. Diese Unterschiede spiegeln sich im Verhalten des Eisschilds in den einzelnen Regionen wieder. Um realistische Zukunftsszenarien zu entwickeln, ist das Verständnis der wichtigsten Prozesse, die das Verhalten der einzelnen Regionen prägen, essenziell.

Die Ergebnisse verschiedener Massenhaushaltsstudien der letzten Jahre ergeben für das gesamte Eisschild der Antarktis einen immer stärkeren Massenverlust. Die einzelnen Regionen der Antarktis zeigen aber teilweise ein sehr unterschiedliches Verhalten. Das kontinentale Eisschild der Antarktis kann grob in drei morphologische Zonen unterteilt werden (Abb. 1):

  • antarktische Halbinsel (0,52 Mio. km² Fläche)
  • Westantarktis (1,97 Mio. km² Fläche)
  • Ostantarktis (10,35 Mio. km² Fläche)

5-1-2_1_Ausflussgletscher
Abb. 1: Fließgeschwindigkeiten wichtiger Ausflussgletscher. Die schwarzen Linien skizzieren die einzelnen Einzugsgebiete. Skalierte rote bzw. blaue Symbole veranschaulichen die Höhe des Massenverlustes bzw. -gewinns in Gigatonnen pro Jahr (Rignot u.a. 2008).

Kräftige Erwärmung über der antarktischen Halbinsel

Die antarktische Halbinsel nördlich von 70° südlicher Breite stellt lediglich 1 % des auf dem Festland gelagerten antarktischen Eisschildes dar, erhält aber aufgrund der klimatischen Bedingungen rund 10 % des gesamten Schneefalls. Insgesamt hat die antarktische Halbinsel ein Eisvolumen von 95.200 km³, was einem potenziellen eustatischen Meeresspiegelanstieg von 24 cm entspricht. Aufgrund der Küstenlage und der geringen Seehöhe steigen die Sommertemperaturen regelmäßig über 0° C. Daher muss man oberflächliche Schmelzvorgänge unbedingt in die Berechnung der Massenbilanz miteinbeziehen.

In den letzten 50 Jahren konnte man eine Erwärmung von 3° C feststellen, was sich in einer stärkeren oberflächlichen Schmelze geäußert hat. Eine direkte Folge der Erwärmung ist auch der Rückzug der Eisschelfe der antarktischen Halbinsel. In den letzten Dekaden konnte man bei 7 von 12 Eisschelfen einen Rückzug beobachten. Dieser Rückzug ist eine direkte Folge der Erwärmung, der bis zum völligen Kollaps einzelner Eisschelfe und der folglichen Beschleunigung der Eisströme führen kann. Die räumliche Verteilung der in der Vergangenheit kollabierten Eisschelfe korreliert sehr gut mit dem Muster des Temperaturanstiegs. Die Massenbilanz der antarktischen Halbinsel beträgt rund –60 (±46) Gigatonnen pro Jahr.

Warmes Meerwasser destabilisiert die Westantarktis

Der Großteil der Westantarktis liegt unter dem Meeresniveau und wird daher als marines Eisschild bezeichnet. Marine Eisschilde werden als instabil betrachtet. Das Gesamteisvolumen der Westantarktis und der antarktischen Halbinsel besitzt ein Potenzial für einen eustatischen Meeresspiegelanstieg von 4,8 m.

In Summe bilanziert die Westantarktis mit –132 (±60) Gigatonnen pro Jahr negativ. Abb. 2 zeigt die Ergebnisse für zwei Satelliten-Altimetrie-Studien, die für zwei unterschiedliche Zeiträume gemacht wurden. Vor allem in den auffälligen Regionen der antarktischen Halbinsel und der Westantarktis ist eine Beschleunigung des dynamischen Ausdünnens festzustellen. Die westantarktischen Eisströme rund um das Amundsen-Meer verzeichnen den größten Massenverlust der Antarktis (Abb. 1): Die Ausdünnungsraten des Pine-Island-Gletschers (PIG) ergeben gemittelt über ein Gebiet von der doppelten Größe Großbritanniens 10 cm pro Jahr, im Küstenbereich sogar von mehreren Metern pro Jahr. Seine Fließgeschwindigkeit hat sich seit 1970 verdoppelt. Oberflächliche Schmelzprozesse spielen hier eine untergeordnete Rolle, ein beträchtlicher Einfluss wird aber dem sich erwärmenden Ozean zugesprochen. Andere Gebiete der Westantarktis zeigen kein vergleichbares Verhalten. Das Gebiet rund um das Ross-Meer (Abb. 3 rechts im Abschnitt „Antarktis“) bilanziert mit +34 (±8) Gigatonnen pro Jahr positiv. Das Gebiet um das Weddell-Meer zeigt für die letzten Jahrtausende ein stabiles Verhalten.

5-1-2_2_Hoehendifferenz
Abb. 2: Links: Höhendifferenz der Oberfläche des antarktischen Eisschildes zwischen 1992 und 2003 (Sheperd und Wingham 2007). Rechts: Höhendifferenz der Oberfläche des antarktischen Eisschildes für das Jahr 2007 bezogen auf 2003. Seehöhen von mehr als 2500 m sind nicht dargestellt (Pritchard u.a. 2009). Man beachte die unterschiedliche Farbskala der beiden Abbildungen.

Die riesige Ostantarktis zeigt sich unbeeindruckt

Die Ostantarktis ist das höchstgelegene, kälteste und trockenste (rund 50 mm Niederschlag pro Jahr) Gebiet der Antarktis. Der theoretische eustatische Meeresspiegelanstieg durch ein völliges Abschmelzen beträgt 51 m.

Die Veränderungen in der Ostantarktis sind weniger dramatisch. Der innere Bereich zeigte über die letzten Jahre ein Ansteigen der Oberfläche. Die möglichen Ursachen reichen von einem eventuellen Ansteigen des Niederschlags bis hin zu einer späten Reaktion auf Klimaänderungen der Vergangenheit. Die einzigen zwei Gebiete mit eklatanten Veränderungen sind marine Eisschilde wie das Cook-Eisschelf und der Totten-Gletscher, die zuletzt Ausdünnungsraten von 25 cm pro Jahr aufwiesen. Aufgrund fehlender Daten ist unklar, ob diese Entwicklung erst in den letzten Jahren begann. Da es sich um großteils marine Eisschilde handelt, ist ein ähnlicher Einfluss des Ozeans wie beim Amundsen-Gebiet denkbar. Die aktuelle Massenbilanz der Ostantarktis wird zwischen –4 und +61 Gigatonnen pro Jahr angenommen.

 

Literatur:

Die in diesem Artikel wiedergegebenen Zahlen zu den Massenbilanzen der einzelnen Regionen beziehen sich auf die Studie von Rignot u.a. (2008). Diese Studie ist als ein Ergebnis unter mehreren zu sehen, die tendenziell in die gleiche Richtung weisen, sich aber in ihren Absolutwerten unterscheiden:

Rignot E., Bamber J.L., van den Broeke M.R., Davis C., LI Y., van de Berg W.J., van Eijgaard E. (2008): Recent Antarctic ice mass loss from radar interferometry and regional climate modelling. Nature Geoscience 1/2, 106–110, doi:10.1038/ngeo102

Bamber J.L., Riva R.E.M., Vermeersen B.L.A., LeBrocq A.M. (2009): Reassessment of the potential sea-level rise from a collapse of the West Antarctic ice sheet. Science 324, 901-903, doi:10.1126/science.1169335

Bindschadler R. (2006): Hitting the Ice Sheets Where It Hurts. Science 311, 1720–1721, doi:10.1126/science.1125226

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Pritchard H.D., Arthern R.J., Vaughan D.G., Edwards L.A. (2009): Extensive dynamic thinning on the margins of the Greenland and Antarctic ice sheets. Nature 461, 971–975, doi:10.1038/nature08471

Rignot E., Velicogna I., van den Broeke M. R., Monaghan A., Lenaerts J. (2011): Acceleration of the contribution of the Greenland and Antarctic ice sheets to sea level rise. Geophysical Research Letters 38, L05503, doi:10.1029/2011GL046583

Sheperd A., Wingham D. (2007): Recent sea-level contributions of the Antarctic and Greenland ice sheets. Science 315, 1529–1532, doi:10.1126/science.1136776

Turner J., Bindschadler R., Convey P., di Prisco G., Fahrbach E., Gutt J., Hodgson D., Mayewski P., Summerhayes C. (2009): Antarctic climate change and the enviroment. Cambridge: Scientific Committee on Antarctic Research, 529 Seiten (PDF-Datei; 20,0 MB)

Wu X., Heflin M.B., Schotman H., Vermeersen B.L.A., Dong D., Gross R.S., Ivins E.R., Moore A.W., Owen S.E. (2010): Simultaneous estimation of global present-day water transport and glacial isostatic adjustement. Nature Geoscience 3/9, 642–646, doi:10.1038/ngeo938

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