Geophysik / News / Vor 125 Jahren: Stärkstes Erdbeben im Gebiet des heutigen Burgenlandes

10.04.2013

Vor 125 Jahren: Stärkstes Erdbeben im Gebiet des heutigen Burgenlandes

Am 12. April 1888 ereignete sich das Erdbeben von Siegendorf, im heutigen Nordburgenland. Rauchfänge stürzten von den Häusern, Mauern bekamen Risse und Geschirr fiel aus den Regalen. Die Menschen flüchteten in Panik auf die Straßen. Viele verbrachten die folgende Nacht zur Sicherheit im Freien. Es ist in den Aufzeichnungen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) das stärkste Erdbeben im Gebiet des heutigen Burgenlandes (Intensität 7°, Magnitude 4,6).

Das Beben dürfte durch Verschiebungen in der Erdkruste entlang des Südrandes des Wiener Beckens ausgelöst worden sein. Im Wiener Becken kommt es etwa alle 10 Jahre zu einem Erdbeben mit leichten Gebäudeschäden. Starke Schäden finden in Zeiträumen statt, die 100 Jahre überschreiten.

Dieses Erdbeben im damaligen Ungarn ist mit einer rekonstruierten Magnitude (Energie des Bebens) von 4.6 das stärkste im Gebiet des heutigen Burgenlandes. Die Intensität wird mit 7° auf der 12-teiligen Europäischen Makroseismischen Skala EMS-98 eingestuft (die EMS-98 beschreibt die Auswirkungen eines Bebens). Das Erdbeben verursachte in Siegendorf große Panik. Christa Hammerl, die an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) historische Erdbeben erforscht und auswertet: „Zahlreiche Berichte beschreiben, wie nach dem Beben um 6 Uhr 30 die Bewohner erschrocken auf die Straße flüchteten. Einige Gebäude erlitten Risse in den Mauern. Auch in der nahegelegenen Zuckerfabrik war die Erschütterung stark zu spüren. Ein Nachbeben, das nur etwas schwächer war als das Hauptbeben, ereignete sich um 20 Uhr 10. Der Großteil der Bevölkerung verbrachte daraufhin die Nacht im Freien."

Das erste Beben wurde unter anderem in folgenden Orten wahrgenommen: Antau, Deutschkreuz, Eisenstadt, Hirm, Hornstein, Loretto, Mattersdorf, Mörbisch am See, Müllendorf, Neckenmarkt, Neufeld an der Leitha, Neusiedl am See, Purbach am Neusiedlersee, Rust, Siegendorf, Sopron, St. Margarethen im Burgenland, Trausdorf an der Wulka, Wulkaprodersdorf.

...man befürchtete das Herabfallen der Kirchendecke..."

Aus Siegendorf (ungarisch Czinfalva), dem Epizentrum des Bebens, berichtete der dortige Pfarrer Antal Hérits: „ In der Früh […] war ein Erdbeben, gerade während der Heiligen Messe. Ich stand beim Altar, fiel aber fast um. Die Gläubigen sind ins Freie gerannt und haben sich erst später wieder entschlossen in die Kirche zurückzugehen. Alle haben auf die Decke der Kirche geschaut, die mehrere Risse gezeigt hat. Verputz ist abgesprungen und man befürchtete das Herabfallen der Decke, die übrigens schwach gebaut war, bei weiteren Stößen. Im Dorf sind mehrere Schornsteine herunter gefallen und die Mauern haben Risse gezeigt. Das Geschirr an der Wand hat sich bewegt und die Uhrwerke sind stehen geblieben." ( Frei übersetzt von Jozef Ferenczi aus: Schafarzik F., 1892. Az 1887 es 1888. Evi magyarorszagi foldrengesekrol. Foldtani kozlony, 22. Franz Xaver Schafarzik, 1854-1927, war ein österreichisch-ungarischer, später ungarischer Geologe und Mineraloge.)

Auch in der Wiener Abendpost gab es am 14. April 1888 einen kurzen Bericht des Bebens: „ (Erdbeben.) Aus Pottendorf, 13.d.M., wird geschrieben: Gestern […] früh wurde hier ein heftiges Erdbeben, welches zwei Secunden dauerte und die Richtung Südost gegen Nordwest hatte, verspürt. - Abends um 8 Uhr 10 Min. wurde hierorts abermals ein circa 30 Secunden andauerndes Erdbeben verspürt. Dasselbe war von einem donnerähnlichen Geräusche begleitet, welches sich wie das Rollen vieler Eisenbahnwaggons anhörte."

Ursache des Bebens: Verschiebungen im Wiener Becken

Das Erdbeben von Siegendorf im heutigen Burgenland dürfte durch Verschiebungen entlang des Südrandes des Wiener Beckens ausgelöst worden sein. Die Ursache der Bebentätigkeit im Wiener Becken ist in der horizontalen Verschiebung entlang der Mur-Mürztal-Störung zu suchen, die bewirkt, dass der östliche Teil der Erdkruste nach Osten gedrängt wird. Im Rahmen dieser Bewegung entstand das Wiener Becken, das von einer seismotektonisch aktiven Tiefenstörung durchquert wird, die sich von Seebenstein über Wiener Neustadt, Ebreichsdorf und Schwadorf nach Marchegg erstreckt. Der südlich verlaufende Ast ist offensichtlich weniger aktiv.

Im Wiener Becken kommt es etwa alle 10 Jahre zu einem Erdbeben, das leichte Gebäudeschäden nach sich zieht. Beben, die zu starken Schäden führen, finden in Zeiträumen statt, die 100 Jahre überschreiten. Dieser im österreichischen Vergleich relativ hohen Erdbebengefährdung wird in der Baunorm zur erdbebenangepassten Bauweise Rechnung getragen.

Historische Bebenforschung um aktuelle Gefährdung einzuschätzen

Der Österreichische Erdbebendienst der ZAMG wurde 1904 gegründet. Zu seinen Aufgaben gehören unter anderem der Betrieb des nationalen Erdbebenmessnetzes, die Erfassung und Auswertung aller seismischen Ereignisse und die Historische Erdbebenforschung.

Die Erforschung historischer Erdbeben, vor allem von Erdbeben vor 1900, ist nicht allein von geschichtlichem Interesse. Die Kenntnis des Epizentrums des Erdbebens und der dort aufgetretenen Schäden lassen auf die Stärke des Erdbebens schließen und in der Folge auf die dort vorhandene Erdbebengefährdung.

Um historische Erdbeben möglichst genau einschätzen zu können, muss man auf Originalquellen zurückgreifen. Dafür werden zum Beispiel Annalen, Chroniken, Briefe, Rechnungen und vieles mehr in Archiven und Bibliotheken ausgehoben. Diese Quellen werden unter Berücksichtigung des Zeitgeistes und der gerade gültigen Vorstellung von der Ursache der Erdbeben kritisch analysiert und interpretiert. Dies erfolgt in interdisziplinärer Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Fachgebiete Geschichte, Geophysik, Geologie und andere.

Beben Siegendorf 1888, Wr. Abendzeitung

Bericht über das Erdbeben von Siegendorf: Die Wiener Abendpost vom 14. April 1888. Quelle ZAMG

Web-Links

Infos zu Erdbeben: www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben

Die EMS-98: www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben/lehrmaterialien/faqs-zu-erdbeben/intensitat

Ratgeber für Verhalten bei Erdbeben: www.zamg.ac.at/cms/de/geophysik/erdbeben/verhaltensratgeber

ZAMG: www.zamg.at und www.facebook.com/zamg.at

Teaserportlet Bebenkarte groß
Karten und Listen seismischer Aktivität

Aktuelle Erdbeben… mehr  •••

Umfeld eines Stollens © ZAMG
Angewandte Geophysik

Angewandte Geophysik… mehr  •••

Live-Seismogramm
Historische Erdbeben
Holzschnitt aus der 'Weltchronik' von Hartmann Schedel, 1493. 'Und der Engel nahm das Rauchfaß und füllte es mit Feuer vom Altar und warf es auf die Erde, und Donner folgten, Getöse, Blitze und Beben.' Offenbarung 8,5 © ZAMG Geophysik Hammerl
Magnetik
Willkommen bei der Magnetik der geophysikalischen Abteilung der ZAMG. © ZAMG Geophysik
Conrad Observatorium
Willkommen am Conrad Observatorium. © Gerhard Ramsebner