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27.03.2012

Neue Version „der“ globalen Temperaturkurve erschienen

Neue Version „der“ globalen Temperaturkurve erschienen

© Jones u.a. 2012

Sie wird  für die nächsten Jahre den diesbezüglichen Standard prägen. Es ist der unter der Ankürzung CRUTEM-4 laufende Temperaturdatensatz, der aus mehreren Tausend Einzelzeitreihen von Langzeit-Messstationen zusammengesetzt ist.

 

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es genügend derartiger Zeitreihen, sodass man daraus zunächst einen Gitterpunktsdatensatz in 5° geographischer Länge und Breite konstruieren kann. Aus diesem werden dann schließlich die tausendfach publizierten und wohlbekannten „Weltklimakurven“ berechnet, die den harten Hintergrund der aktuellen Klimadebatte bilden.

Der Name „CRUTEM“ deutet auf das Institut hin, das diese Arbeit nun schon seit den 1980er-Jahren leistet – die „Climatic Research Unit“ der Universität East Anglia in Norwich (UK). Das Suffix 4 zeigt, dass es sich mittlerweile um die vierte Version des Datensatzes handelt, der alle fünf bis zehn Jahre einer kompletten Neubearbeitung unterzogen wird. CRUTEM deckt die gesamte Landoberfläche der Erde ab. Demnächst wird wohl auch die Vierer-Version des kombinierten Land- und Ozean-Temperaturdatensatzes erscheinen, den die Kollegen der CRU zusammen mit denen des „Hadley Centres for Climate Research“ des britischen Wetterdienstes erarbeiten. Dieser wird dann „HADCRU-4“ heißen. Die Datensätze sind frei über das Internet zugänglich (s. Literatur), und sie können zur Verwendung sehr empfohlen werden, da sie zurzeit „das“ Qualitätsprodukt zum Thema globale Erwärmung darstellen.

Der Ur-Initiator der CRUTEM-Datensätze in den 1980er-Jahren war Phil Jones, der heutige Direktor des CRU-Instituts. Und der Altmeister fungiert auch in der gerade erschienenen Publikation wieder als Hauptautor. Ja – der Phil Jones, der im Rahmen des „Climatgate-Skandals“ am Pranger der Klimawandelskeptiker stand. Dementspreched ging erwartungsgemäß auch sofort die Diskussion in der Blogosphäre los – wie wir denken, gerade was den CRUTEM-Datensatz betrifft – an einem denkbar ungeeigneten Objekt. Denn in diesem steckt sehr viel seriöse Arbeit, die über lange Jahre hindurch wissenschaftlich korrekt geleistet worden ist und weiterhin wird. Und – um auf einen der Hauptvorwürfe der Skeptiker Community einzugehen – diese Arbeit wurde höchst transparent getan und ist in sehr vielen einschlägigen Publikationen dargestellt, von denen die gerade erschienene jüngste den Anlass zu unserem Tipp gegeben hat.

Was ist das Neue an der Vierer-Version von CRUTEM?

Zunächst einmal hat sich kaum neues ergeben, wenn man lediglich die hemisphärischen und die globalen Mittelkurven betrachtet. Unterschiede sind regional zu erkennen, und wie wir glauben (und wie auch die Publikation vermerkt) sind es wohl welche zum Besseren.

Diese regionalen Verbesserungen haben etwas damit zu tun, was immer schon von der Klimaforschung der ZAMG vertreten worden ist: Qualitätsverbesserungen in Datensätzen können besser von den Datenerzeugern selbst unternommen werden, da sie über den Hintergrund der Datenerzeugung („Metadaten“) besser Bescheid wissen, als z.B. ein Institut in England, das sich über die Qualität von sagen wir japanischen Zeitreihen Gedanken machen soll. Speziell gilt das für die Homogenisierung der Zeitreihen. Unter Homogenisierung verstehen wir das Vergleichbar Machen von Messungen z. B. aus dem 19. Jahrhundert mit solchen aus dem 21. Jahrhundert – die notwendige Voraussetzung, um überhaupt etwas über den Klimawandel aussagen zu können.

Zu Beginn der einschlägigen CRU-Aktivitäten in den 1980er-Jahren hatten die dortigen Kollegen noch eher die zentrale Qualitätssicherung aller globalen Daten im Auge – nicht zuletzt deshalb, da der Gedanke der Homogenisierung langer Klimazeitreihen bei den Datenerzeugern selbst, meist die nationalen Wetterdienste, noch nicht sehr verbreitet war. Gerade die ZAMG-Klimaforschung leistete in dieser Beziehung Pionierarbeit, und wir freuen uns, dass sich in der Zwischenzeit der dezentrale Ansatz durchgesetzt hat. Dies wird auch in der aktuellen Publikation der CRU betont, und der von der ZAMG ins Leben gerufene und betreute mitteleuropäische HISTALP-Datensatz als einer der wenigen einer besonderen Besprechung gewürdigt. Ein anderer regionaler Beitrag kam von den Kollegen des Dänischen Wetterdienstes, die sehr lange Klimazeitreihen für das eminent wichtige Gebiet Grönlands der Wissenschaft zugänglich gemacht haben (s. Literatur).

Wie sieht die Temperaturentwicklung in Österreich im Vergleich zum neuen CRUTEM4 globalen Mittel über alle Landstationen aus?

Die Abbildung bringt den Vergleich der globalen Jahresmittel von 1850–2010 mit denen aus Österreich von 1768–2011. Beide Reihen sind als Anomalien von der Normalperiode 1961–1990 dargestellt, die Österreichreihe zeigt neben den einzelnen Jahreswerten auch einen geglätteten Verlauf, der die kurzfristigen Schwankungen von weniger als 20 Jahren unterdrückt. Folgendes fällt auf:

  1. Die kurzfristigen Schwankungen sind für das viel kleinere Österreich (0,6 ‰ der globalen Landfläche) viel stärker, als für das globale Mittel. Das ist eine gut bekannte statistische Tatsache, wegen der es vor allem für Einzelzeitreihen oder solche kleinerer Gebiete notwendig ist, den Verlauf zu glätten, um die Langfristentwicklungen zu erkennen.
  2. Die Österreichreihe reicht um beinahe ein Jahrhundert weiter zurück in die Vergangenheit, was im globalen Maßstab nicht möglich ist, da es für weite Gebiete der Erde keine instrumentellen Messungen vor Mitte des 19. Jahrhunderts gibt. Das gibt wertvolle Information über eine Zeitspanne mit noch weitestgehend natürlichem Klima ohne anthropogenem Treibhauseffekt.
  3. In Österreich (und im gesamten Großraum Alpen) war der Temperaturanstieg der aktuellen Jahrzehnte und auch in den 120 Jahren seit dem absoluten Temperaturminimum um 1890 stärker als im Mittel über alle Landstationen der Erde. Genauere Analysen zeigen, dass man das auf eine Zunahme der regionalen Sonnenscheindauer im Alpenraum im Zuge einer nordwärts Verlagerung des Subtropenhochgürtels erklären kann.
  4. Abgesehen von der stärkeren Amplitude sind die sonstigen Charakteristika der beiden Klimakurven ähnlich. Sie zeigen beide vier markante Unterperioden:
    • 1800–1890 (global 1850–1890): leichter langfristiger Temperaturrückgang nach einer Wärmephase um 1800.
    • 1890–1950 (global 1890–1940): erster Erwärmungsschub, der noch weitestgehend mit natürlichen Klimaantrieben erklärbar ist (hauptsächlich die Zunahme der Sonnenintensität zum „grand solar maximum“ um die Mitte des 20. Jahrhunderts)
    • 1950–1980 (global 1940–1980): Stagnation bis leichter Temperaturrückgang. Von manchen Hypothesen zumindest zum Teil auf einen ersten (abkühlenden) anthropogenen Effekt zurückgeführt, der auf der starken Luftverschmutzung diese Zeit beruht (Rückstreuung der einfallenden Sonnenstrahlung durch Aerosole)
    • Seit 1980: Starker Temperaturanstieg – global um rund 0,7° C, regional in Österreich um und rund 1,2° C. Daran ist überwiegend der nun als Hauptantrieb fungierende anthropogene Treibhauseffekt beteiligt, der auch noch in Zukunft noch längere Zeit die natürlichen Klimaantriebe in den Hintergrund treten lassen wird.
    • Seit 2000: Die in den Kurven sichtbare Trendabschwächung der aktuellen Dekade bewegt sich noch im Rahmen der statistischen Zufälligkeit – ist jedoch Gegenstand zahlreicher Überlegungen und wissenschaftlicher Analysen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine dieser auch früher schon in den Klimakurven sichtbaren dekadischen Variationen, die dem Langfristtrend überlagert sind. Diese können durch externe Antriebe (Sonne, Vulkane) entstehen aber auch intern im Klimasystem produziert werden (Wärmeumlagerungen in den Ozeanen, Kryosphäre).

Alles in allem mag eine Publikation wie die, der unser aktueller Tipp gilt, als spröde Materie erscheinen. Wir geben allerdings zu bedenken, dass es genau derartige Publikationen sind, die grundlegend dazu beitragen, Wissenschaft und ihre Resultate transparent und damit auch nachprüfbar zu machen. Gerade in der aktuellen öffentlichen Diskussion über den Klimawandel herrscht ja genug Verwirrung über gegensätzliche Behauptungen, Hypothesen, Anschuldigungen, Streitereien, die meist daher rührt, dass die jeweiligen Standpunkte nur höchst verwaschen und wenig korrekt vertreten werden.

Ein Stück glasklare Argumentation wie die besprochene Publikation – sozusagen „extra dry“ und eisgekühlt serviert – kann nur positiv zur Abkühlung und Rationalisierung der manchmal überhitzten Diskussion über den Klimawandel beitragen. Wir können das nur sehr empfehlen.

 

Literatur:

Die besprochene Veröffentlichung:

Jones P.D., Lister D.H., Osborn T.J., Harpham C., Salmon M., Morice C.P. (2012): Hemispheric and large-scale land surface air temperature variations: An extensive revision and an update to 2010. Journal of Geophysical Research 117, D05127, doi:10.1029/2011JD017139

Weitere thematische Beiträge:

Strangeways I. (2010): Measuring global temperatures. Their analysis and interpretation. Cambridge: Cambridge University Press, 233 Seiten, ISBN 978-0-521-89848-5

Vinther B.M., Andersen K.K., Jones P.D., Briffa K.R., Cappelen J. (2006): Extending Greenland temperature records into the late eighteenth century. Journal of Geophysical Research 111, D1105, doi:10.1029/2005JD006810

Aus dem Hause ZAMG:

Auer I., Böhm R., Jurkovic A., Lipa W., Orlik A., Potzmann R., Schöner W., Ungersböck M., Matulla C., Briffa K., Jones P.D., Efthymiadis D., Brunetti M., Nanni T., Maugeri M., Mercalli L., Mestre O., Moisselin J.M., Begert M., Müller-Westermeier G., Kveton V., Bochnicek O., Stastny P., Lapin M., Szalai S., Szentimrey T., Cegnar T., Dolinar M., Gajic-Capka M., Zaninovic K., Majstorovic Z., Nieplova E. (2007): HISTALP. Historical instrumental climatological surface time series of the greater Alpine region 1760–2003. International Journal of Climatology 27, 17–46, doi:10.1002/joc.1377 (PDF-Datei; 2,8 MB)

Böhm R., Jones P.D., Hiebl J., Frank D., Brunetti M., Maugeri M. (2009): The early instrumental warm-bias: a solution for long central European temperature series 1760–2007. Climatic Change 101, 41–68, doi:10.1007/s10584-009-9649-4

Auer I., Böhm R., Schöner W. (2009): The importance of high quality regional scientific information in coping with global climate change. In: WMO (Hg.): Climate Sense. Leicester: Tudor Rose, 179–183 (PDF-Datei; 0,4 MB)

CRU-Daten sind frei erhältlich via www.cru.uea.ac.uk/cru/data/temperature.

HISTALP-Daten sind frei erhältlich via www.zamg.ac.at/histalp.

Autorenexemplare auf persönliche Anfrage erhältlich via E-Mail.

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