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30.03.2017

Neue Entdeckungen in Carnuntum

Neue Entdeckungen in Carnuntum

©LBI ArchPro, 7reasons

Das Projekt „Gesamtprospektion Kernzone Carnuntum" von Ludwig Boltzmann Institut Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und internationalen Partnern förderte nach der Entdeckung der Gladiatorenschule, den frühesten Marschlagern und der Kaserne der Leibgarde des Statthalters weitere spektakuläre Funde zutage. Ein drittes, bislang unbekanntes Amphitheater sowie ein ganzer Stadtbezirk mit Tavernen, Großbäckereien und Geschäften belegen eine gut ausgestattete Freizeitinfrastruktur zur Abhaltung von Großereignissen wie Gladiatorenspielen. Darüber hinaus wurden vor allem im Bereich der ehemaligen Militärstadt neue Stadtteile entdeckt. Die Ergebnisse tragen zu einem differenzierteren Verständnis der Stadtentwicklung von Carnuntum bei und erlauben eine gezielte Erforschung zu weiterführenden Fragestellungen.

Im Auftrag des Landes Niederösterreich wurden vom Ludwig Boltzmann Institut für archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro), der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und internationalen Partnern der gesamte, fast 10 Quadratkilometer große, Kernbereich der antiken Metropole Carnuntum mit Bodenradar und Geomagnetik in Bad Deutsch-Altenburg und Petronell-Carnuntum durchleuchtet. Seit dem Abschluss der Messungen im Gelände arbeiteten Fachleute dieser Institutionen sowie des Instituts für Kulturgeschichte der Antike der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IKAnt) und des Landes Niederösterreich an der Auswertung der Messergebnisse. Nach der Entdeckung einer Gladiatorenschule im Jahr 2011, den frühesten Marschlagern im Jahr 2014 und der Gardekaserne des römischen Provinzstatthalters im Jahr 2016 wurden nun weitere sensationelle Entdeckungen gemacht. Der neu erstellte vollständige Plan macht erstmals alle im Untergrund verborgenen römischen Überreste nach Jahrtausenden wieder sichtbar.

Umfassende Freizeitinfrastruktur

Nördlich des vor etwa 90 Jahren freigelegten Amphitheaters und der Gladiatorenschule in Petronell-Carnuntum konnte ein ganzer Stadtbezirk mit Großbäckereien, Tavernen und Geschäften - der wesentlichen Infrastruktur für die Durchführung römischer Spektakel wie Gladiatorenkämpfen („Brot und Spiele") - nachgewiesen werden.

Der Weg zum Amphitheater führte aus der Stadt hinaus durch ein Stadttor der seit Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. bestehenden Stadtmauer, welche die Zivilstadt umschloss. Den Weg säumten Tavernen (tabernae), Souvenirgeschäfte und Imbissstuben ( thermopolia), wo Händler ihre Ware über straßenseitige Ladentheken zum Verkauf anboten und Wirtshäuser das Publikum zum Verweilen einluden. Hinter einer der Schenken entdeckten die Wissenschafter ein Speichergebäude (horreum) und Keller, in denen Wein gelagert worden sein dürfte. Außerdem zeigten sich die Reste eines großen Ofens, in dem wohl Brot für bis zu 13.000 Zuschauer im Amphitheater gebacken wurde. Auch ein bei Grabungen im Jahre 2009 freigelegter Baukomplex mit einer Vielzahl an Brotbacköfen im Bereich der heutigen Zufahrt zum Parkplatz der Römerstadt Carnuntum diente wahrscheinlich diesem Zweck.

Bisher unbekanntes drittes Amphitheater

Historisch noch sensationeller ist aber der Befund eines unter der späteren Stadtmauer festgestellten, bislang noch völlig unbekannten Amphitheaters. Diese Anlage - nur 400 Meter nördlich des heute sichtbaren steinernen Amphitheaters aus dem 2. Jahrhundert. n. Chr. - ist der wohl früheste eindeutig definierte Veranstaltungsbereich der Römerstadt Carnuntum nach dem Amphitheater östlich des Legionslagers in Bad Deutsch-Altenburg.

Nachgewiesen ist, dass die innere cavea-Mauer und die Fundamente der Torbereiche aus Stein erbaut waren. Es ist anzunehmen, dass sich dahinter ein Holzbau erhob. Rein hölzerne Amphitheater aus solch früher Zeit sind bislang nur sehr wenige bekannt, wie etwa in Künzing (Bayern) oder Londinium (Großbritannien). Dieses Amphitheater lag an der Kreuzung der beiden wichtigsten Hauptverbindungen Carnuntums: der Limesstraße (decumanus) nach Westen und der Verbindung nach Rom (cardo) neben einem möglicherweise älteren Tempel für Silvanus und den Quadriviae (Römische Weggottheiten, die auf der Reise schützen sollten)

Damit kann der frühen Geschichte des römischen Carnuntum ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden, welches den zielorientierten Aufbau notwendiger römischer Infrastruktur als Basis der römischen Herrschaft gleichzeitig mit der Einrichtung römischer Lebenskultur aufzeigt.

Neues Stadtviertel im Bereich der Lagerstadt

Westlich des Legionslagers in Bad Deutsch-Altenburg konnte nördlich der Limesstraße in der Lagerstadt ein bislang nicht bekannter Stadtteil festgestellt werden, der im Zuge der stadtgeschichtlichen Entwicklung vom 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. völlig umgestaltet wurde. Hier müssen weitere Untersuchungen helfen, um den historischen Ablauf der Stadtentwicklung genauer aufzeigen zu können.

Ohne in den Boden einzugreifen, hat die Durchführung des Projektes samt der folgenden Auswertung der Daten der Geschichte von Carnuntum weitere spannende Kapitel hinzugefügt. Vor allem ist die Bedeutung für die zukünftige Nutzung der gewonnenen Ergebnisse für wissenschaftliche Folgeprojekte in Carnuntum, für Flächenwidmung und Raumordnung sowie die wirtschaftlich-touristische Nutzung noch gar nicht einschätzbar. Archäologie in Carnuntum wird auch in Zukunft nicht ohne feldarchäologische Untersuchungen auskommen können, doch durch diese Prospektionsergebnisse kann nun gezielt hinsichtlich bestimmter Fragestellungen effizient und wirtschaftlich geforscht werden.

Wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Nutzen

Landesrätin Petra Bohuslav sieht in der wissenschaftlichen Erforschung von Carnuntum einen doppelten Nutzen: „Die Gesamtprospektion von Carnuntum bringt sensationelle Ergebnisse über den Alltag im antiken Carnuntum. Sie ist mit einem hohen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen verbunden: Einerseits ist der neue vollständige Stadtplan der Überreste des römischen Carnuntum eine hervorragende Grundlage für virtu­elle Rekonstruktionen und zukünftige archäologi­sche Forschung. Andererseits werden die Ergebnisse auch für Besucherinnen und Besucher aufgearbeitet und damit wird Carnuntum noch stärker einem internationalen touristischen Publikum bekannt gemacht. Die Bedeutung als kulturtouristischer Magnet für die gesamte Region wird so weiter ausgebaut."

Magnetfeldmessungen und Bodenradar: grabungsfreie Archäologie

Wolfgang Neubauer, Direktor des LBI ArchPro, sagt zum Forschungsprojekt: „Das Land Niederösterreich hat in Carnuntum vor allem in den letzten zehn Jahren viele Maßnahmen gesetzt, die wenigen ausgegrabenen Bereiche für künftige Generationen zu sichern, zu erhalten sowie auch zeitgemäß zu präsentieren. Neben solchen Maßnahmen ist aber vor allem die detaillierte Erforschung des noch im Boden verbliebenen archäologischen Erbes dringend notwendig. Im Gegensatz zu früheren Zeiten muss nicht mehr alles ausgegraben werden, sondern die Informationen über das antike Leben und das Aussehen der Stadt vor fast 2000 Jahren können durch den Einsatz nicht-invasiver Verfahren wie Magnetfeldmessungen oder Bodenradar in unglaublicher Detailtreue gewonnen und für virtuelle Rekonstruktionen verwendet werden. Sensationelle und unerwartete Entdeckungen wurden im Laufe des Projektes gemacht, zahlreiche weitere liegen jedoch noch unentdeckt in der größten archäologischen Landschaft aus römischer Zeit in Mitteleuropa verborgen und warten auf ihre Entdeckung."

Ergebnisse mit internationaler Bedeutung

Für den wissenschaftliche Leiter der Römerstadt Carnuntum, Franz Humer, bestätigen die Ergebnisse einmal mehr die internationale Bedeutung von Carnuntum: "Ich bin seit beinahe 30 Jahren in Carnuntum tätig. Durch die konsequente Grundlagenforschung des Landes Niederösterreich mit wissenschaftlichen Partnern erschließen sich fast jedes Jahr neue wissenschaftliche Highlights, die wir trotz fast 170-jähriger archäologischer Forschung nicht für möglich gehalten haben. Und die konsequent betriebene Grundlagenforschung des Landes Niederösterreich, kombiniert mit den Ergebnissen experimentalarchäologischer Forschung hat gerade auch in der internationalen Beurteilung der archäologischen Fachwelt eine äußerst positive Reputation bewirkt. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass historisch gesehen die Römerstadt Carnuntum, abgesehen vom mediterranen Raum, ein absoluter „Hotspot" der römischen Antike war."

Stetig steigendes Besucherinteresse

Einen positiven Effekt für die nachhaltige Positionierung auf dem internationalen kulturtouristischen Markt erwartet sich Geschäftsführer Markus Wachter: "Vor allem seit der Entdeckung der Gladiatorenschule sind die Bekanntheit von Carnuntum und der Anteil an internationalen Besuchern deutlich gestiegen. Die Ergebnisse der Gesamtprospektion stärken die internationale Bedeutung und unterstützen die Positionierung als Wiedergeborene Stadt der Kaiser".

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Video

Ein Video mit Visualisierungen der neuen Entdeckungen finden Sie ->hier

 

Web-Links

Römerstadt Carnuntum: www.carnuntum.at

LBI ArchPro: www.lbi-archpro.org

ZAMG ArcheoProspektion: www.zamg.at/cms/de/geophysik/angewandte-geophysik

ZAMG allgemein: www.zamg.at und www.facebook.com/zamg.at

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