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19.09.2017

Österreichische Gletscherexperten bei Expedition zu verlassener US-Militärbasis in Grönland

Österreichische Gletscherexperten bei Expedition zu verlassener US-Militärbasis in Grönland

©GEUS/William Colgan

Im grönländischen Eis lagern Tonnen von zum Teil umweltschädlichen Altlasten, die aufgrund der globalen Erwärmung in naher Zukunft zu Tage treten können. Die während des Kalten Kriegs errichtete „Camp Century"-Basis war die erste eines weitläufig geplanten Atomwaffen-Stationsnetzwerks der USA. Erst vor wenigen Jahren wurden die geheimen US-Militär Dokumente freigegeben und das volle Ausmaß des Projekts bekannt. Im Rahmen eines dänischen Forschungsprojekts werden in den nächsten Jahren die militärischen Altlasten erfasst und das Risiko eines Ausschmelzens der zum Teil umweltschädlichen Relikte abgeschätzt. Zwei österreichische Gletscherexperten sind Teil des internationalen Forschungsteams, der Tiroler Jakob Abermann, Meteorologe bei Asiaq, Greenland Survey und der Salzburger Daniel Binder, Geophysiker an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG).

„Project Iceworm" war ein geheimes Programm des US-Militärs, mit dem zur Zeit des Kalten Kriegs hunderte Atomwaffen unter der Oberfläche des grönländischen Eisschilds installiert werden sollten, um im Falle eines nuklearen Kriegs die Sowjetunion zu bombardieren.

Camp Century war dabei die erste Station eines weitläufig geplanten Netzwerks und wurde Ende der 1950er-Jahre errichtet. Ausgangspunkt des ehrgeizigen Vorhabens war die Thule US-Militärbasis an der Küste Nordwest-Grönlands. Eine eineinhalb Kilometer lange Rampe auf den grönländischen Eisschild wurde eingerichtet, um schweres Gerät, das gesamte Baumaterial, sowie die Mannschaft rund 200 Kilometer landeinwärts ins Nährgebiet (Akkumulationsgebiet) des Gletschers zu transportieren. Camp Century bestand aus 21 Tunnel, damals rund acht Meter unter der Oberfläche, und einem eigenen mobilen Kernreaktor zur Energieversorgung. Über die Jahre zeigte sich allerdings, dass die Instandhaltung der in den grönländischen Firnkörper vergrabenen Infrastruktur technisch zu aufwendig war. Die kontinuierliche Deformation der Stahlkonstruktionen aufgrund der Firndynamik, sowie Schmelzvorgänge aufgrund der Stationsabwärme zwangen das US-Militär ihr Vorhaben aufzugeben und Camp Century Mitte der 1960er-Jahre zu verlassen. Der Kernreaktor wurde entfernt, zurück blieben aber rund 9.000 Tonnen Baumaterial, 200.000 Liter Diesel, unbestimmte Mengen an umweltschädlichen polychlorierten Benzolen (PCB) sowie rund 24.000 Liter an Abwasser und leicht radioaktivem Kühlwasser.

Erster Bohrkern durch Eisschild Grönlands

Der offizielle Zweck von Camp Century waren laut Angaben der USA die Erforschung des arktischen Eises, die praktische Errichtung und Erhaltung von Konstruktionen unter arktischen Bedingungen, sowie Tests mit einem mobilen Kernreaktor. Viele noch heute wertvolle und sehr gut dokumentierte wissenschaftliche Erkenntnisse wurden im Laufe der Camp Century Ära gewonnen. Unter anderem wurde hier der erste Eisbohrkern bis zur Basis des grönländischen Eisschilds gebohrt und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Damit lieferte dieses kontroverse Militärprojekt einen wichtigen Beitrag zu einem Stützpfeiler der modernen Klimaforschung.

Erst 1997 erfuhr die Öffentlichkeit vom arktischen Mülllager

Der wahre Hintergrund des „Project Iceworm", sowie die Geschichte der Camp Century Station samt ihrer zurückgelassenen Altlasten, wurde schlussendlich 1997 öffentlich bekannt. 2016 publizierten die Klimaforscher William Colgan (GEUS, DK) und Horst Machgut (Universität Fribourg, CH) eine Studie, die zeigte, dass durch die aktuelle Klimaerwärmung der Eisschild im Bereich der Camp Century Station mit dem Jahr 2100 möglicherweise Teil des Zerrgebiets (Ablationsgebiets) wird. Der Übergang vom Akkumulationsgebiet (Massengewinn) in das Ablationsgebiet (Massenverlust) verursacht ein stark beschleunigtes Ausschmelzen der Camp Century Relikte, die momentan großteils in einer Tiefe von etwa 30 bis 40 Meter zu finden sind. Die Folgen für die Siedlungen an der grönländischen Küste und das arktische Ökosystem sind momentan noch nicht abschätzbar. Aufgrund der zeitlich sowie räumlich spärlichen Datenbasis sind die Unsicherheiten der Studienergebnisse allerdings noch relativ hoch.

Verbesserte Datenbasis durch dänisches Projekt ‚Camp Century Climate'

Im Rahmen des ‚Camp Century Climate' Projekts wurde GEUS (Geological Survey from Denmark and Greenland) von der dänischen Regierung beauftragt eine solidere Datenbasis zu schaffen und besser fundierte Zukunftsszenarien zu berechnen.

Im Sommer 2017 fand die erste und größte Camp Century Expedition statt. Teil der Expedition waren der Tiroler Jakob Abermann, der zur Zeit für Asiaq, Greenland Survey arbeitet und der Salzburger Daniel Binder von der Abteilung für Klimaforschung an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), der derzeit für ein Jahr bei GEUS in Dänemark tätig ist.

Das Ziel dieser Expedition war die Installation verschiedener permanenter Messstationen um kontinuierliche Daten über das Wetter, Firn-/Eistemperaturen und Firnkompaktionsraten zu sammeln. Die Daten werden täglich mittels Satellitenverbindung nach Kopenhagen übermittelt. Weiters wurden Bohrkerne gezogen um die Firn-/Eisdichte, sowie einzelne Schmelzhorizonte zu bestimmen. Die Bohrkernproben vom Bereich der Camp Century Station wurden nach Kopenhagen überstellt und werden dort auf Radionukleide untersucht. Bodenradarmessungen dienten zur Kartierung der momentan etwa 30 bis 40 Meter tief eingeschneiten Camp Century Station und GPS-Messungen lieferten wichtige Daten zur aktuellen Eisdynamik und relativen Eisdickenänderungen.

95 Prozent umgesetzt, trotz widriger Wetterbedingungen

Die Expedition fand von 21. Juli bis 8. August 2017 unter extremen Wetterbedingungen statt. „Den blauen Himmel sahen wir selten. Es war durchgehend windig, oft sogar stürmisch mit relativ viel Niederschlag. Die Temperaturen waren mit -13 bis +2°C relativ mild, was die Bohrungen teilweise unmöglich machte.", erzählt Glaziologe Binder. „Schlussendlich sind wir erleichtert, dass es der grönländische Wettergott am Abflugtag mit uns gut gemeint hat, und die ganze Mannschaft ausfliegen konnte", ergänzt Jakob Abermann. Trotz der widrigen Umstände, konnte das aus sechs Personen bestehende Wissenschaftsteam 95 Prozent ihrer Aufgaben erfolgreich umsetzen.

Messungen mit Bodenradar und GPS

Der ZAMG-Geophysiker Daniel Binder führte in Grönland unter anderem die Messungen mittels Bodenradar durch: „Dabei zieht man entweder mit Skidoo oder manuell mit Schi ein Bodenradar systematisch über das Eis und erhält so ein Abbild des Untergrunds. Die Auswertungen werden uns zeigen, wo genau und in welcher genauen Tiefe sich die zurückgelassenen Infrastrukturen befinden. Aufgrund der Tatsache, dass der ursprüngliche Camp Century Stationsplan sehr genau bekannt ist, lassen sich dadurch potentiell gefährliche Bereiche besser eingrenzen und in den nächsten Jahren genauer untersuchen."' Der zweite Österreicher Jakob Abermann war vor allem in der Erfassung der GPS Daten zur Bestimmung der Massenbilanz und der Eisdynamik involviert: „Daten früherer Kampagnen liefern eine sehr gute Datenbasis um relative Änderungen der Eisdicke und der Eisdynamik festzustellen. Die aktuellen GPS Daten werden uns zeigen, ob, beziehungsweise wie sehr, man die Auswirkungen der Klimaerwärmung in diesem Bereich des Eisschilds bereits beobachten kann."

Verbesserte Zukunftsszenarien als politische Entscheidungsgrundlage

Auf Basis dieser umfangreich gesammelten Daten kann der aktuelle Zustand des Eisschilds im Bereich der Camp Century Station genau überwacht werden. Weiters bilden die neuen Daten eine solidere Basis um die potentielle Zukunft der Camp Century Station genauer zu untersuchen. Mittels bereits sehr gut entwickelter Computermodellen und der Annahme verschiedener Klima-Zukunftsszenarien werden mögliche Entwicklungen der momentan noch tief eingeschneiten Camp Century Station berechnet. Diese Resultate bilden die Entscheidungsbasis für das weitere Vorgehen mit diesem Relikt des Kalten Kriegs.

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Daniel Binder von der ZAMG bei Messungen mit dem Bodenradar über der verlassenen Militärbasis in Grönland: Die Auswertungen werden zeigen, wo genau und in welcher Tiefe sich die zurückgelassenen Infrastrukturen befinden. Quelle: GEUS/William Colgan –>zum Download in voller Auflösung (keine Druckauflösung verfügbar)

Rund um die Uhr Wetterdaten vom Eisschild Grönlands: Das Ziel der Expedition war unter anderem die Installation verschiedener Messstationen, die täglich per Satellit alle Daten nach Kopenhagen übermitteln. Quelle: GEUS/Allan Pedersen –>zum Download in voller Auflösung

 

Eisbohrkern zur Bestimmung der Radioaktivität in unterschiedlichen Tiefen: Die zum Teil umweltschädlichen Reste der US-Militärbasis Camp Century befinden sich in etwa 30 bis 40 Meter Tiefe. Quelle: Universität Fribourg/Horst Machguth –>zum Download in voller Auflösung

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Web-Links

Projektwebsite "Camp Century Climate": http://campcenturyclimate.dk/ccc/

Erste Publikation zum Umweltrisiko von Camp Century: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2016GL069688/full

Weitere Infos und Fotos zu "Ice Worm" und "Camp Century": https://en.wikipedia.org/wiki/Project_Iceworm

Youtube-Link zu US Army Camp Century Dokumentation: https://www.youtube.com/watch?v=1Ujx_pND9wg&t=12s

GEUS: www.geus.dk

Asiaq: www.asiaq.gl

ZAMG: www.zamg.at und www.facebook.com/zamg.at

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