Niederschlag

Haben die steigenden Temperaturen auch zu einer Zunahme der Niederschläge geführt?

Die Alpen als Klimawandelscheide

Es wird oft verallgemeinernd dargestellt, dass die Erhöhung der Lufttemperatur im Zuge des Klimawandels über eine erhöhte Verdunstungsrate auch zu einer Zunahme des Niederschlags führt. Dieser Zusammenhang ist zwar global gesehen erfüllt, regional sind jedoch auch Abweichungen in beide Richtungen möglich, wenn es infolge des Klimawandels zu Verschiebungen von Wetterlagen und Strömungsmustern kommt. Wie hat sich der Niederschlag in Österreich nun tatsächlich verändert? Die Untersuchung hochqualitativer Messdaten liefert eine zwiespältige Antwort.

Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf als kältere Luft aufnehmen, die Zunahme erfolgt sogar exponentiell. Kann ein Kubikmeter Luft in Meeresniveau bei 0° C maximal nicht einmal 5 g Wasserdampf halten, sind es bei 10° C bereits doppelt so viel und bei 30° C rund 30 g. Als Folge steigt die Menge an Wasserdampf an, die vor allem über Wasserflächen, aber auch von der feuchten Bodenkrume und von Pflanzen verdunstet. Ein höherer Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre erlaubt seinerseits auch wieder stärkere Niederschläge: Der Wasserkreislauf aus Niederschlag, Abfluss und Verdunstung wird in einem wärmeren Klima also angekurbelt – zumindest im globalen Maßstab. Soweit der wissenschaftliche Konsens.

Automatisch mehr Niederschlag durch höheren Wasserdampfgehalt?

Wohin jedoch die atmosphärische Zirkulation die zusätzlichen Wassermassen transportiert und in Form von Niederschlag wieder absetzt, ist weniger klar. Im Vergleich zur Lufttemperatur ist Niederschlag daher ein viel schwieriger einzuschätzendes Klimaelement, und Aussagen für begrenzte Regionen (oder Zeiträume) lassen deutlich weniger Bestimmtheit zu als „globale“ Aussagen. Regen- und Schneefälle treten räumlich und zeitlich sehr variabel auf: Eine einzige Bergkette kann Staulagen von Trockentälern trennen, wenige Kilometer von einem Wolkenbruch entfernt fällt manchmal kein Tropfen. Darüber hinaus steht der Niederschlag in enger Beziehung mit Wetterlagen, deren Zugbahnen und Häufigkeiten dekadischen Variationen unterliegen. Auch globale Fernwirkungen wie El Niño oder die Nordatlantische Oszillation können bis ins regionale oder sogar lokale Niederschlagsgeschehen in Österreich ausstrahlen. Nicht zuletzt unterliegt auch die Messung des Niederschlags selbst erheblichen Schwierigkeiten, besonders durch Messfehler infolge von Wind und Verdunstung.

Für den Alpenraum und Österreich kann man auf die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreichenden und homogenisierten Niederschlagsdaten des HISTALP-Datensatzes zurückgreifen (Abb. 1). Hinsichtlich der Jahressummen war im Alpenraum die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts relativ niederschlagsreich, was zu den starken Gletschervorstößen dieser Zeitspanne beitrug. Gefolgt wurde dieser Zeitraum von der trockensten Phase der Messgeschichte, den 1860er-Jahren. Als herausragende Auswirkung dieser Trockenphase war damals etwa der Neusiedler See einige Jahre hindurch völlig ausgetrocknet. Danach gestaltete sich das Niederschlagsklima über ganz Österreich hinweg gesehen ohne ausgeprägte langfristige Schwankungen. Am niederschlagsreichsten war das Jahr 1816, am trockensten das Jahr 1834.

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Abb. 1: Entwicklung der jährlichen Niederschlagssumme in Österreich 1813–2023. Dargestellt sind jährliche Abweichungen vom Mittel der Jahre 1961–1990 (dünne Linien) und deren geglättete Trends (dicke Linien, 21-jähriger Gauß’scher Tiefpassfilter) (Auer u.a. 2007 aktualisiert).

Mehr Niederschlag im Nordwesten, weniger im Südosten

Allerdings zeigen sich in einzelnen Regionen Österreichs unterschiedliche, teilweise sogar gegenläufige Niederschlagstrends (Abb. 2). Im Westen (Vorarlberg, Nordtirol) nahm der Niederschlag über den gesamten Zeitraum seit den 1860er-Jahren betrachtet zu, während er im Südosten (Unterkärnten, West- und Oststeiermark, Südburgenland) über die letzten 200 Jahre hinweg abnahm. Offenbar wirkt der in der Westwindzone des globalen Zirkulations-systems gelegene Alpenbogen beim Klimaelement Niederschlag sogar für Langfristtrends als markante Trennungslinie. Zwischen diesen beiden gegengleichen Polen weisen der Norden (Flachgau, Oberösterreich, Niederösterreich, Wien, Nordburgenland) und das inneralpine Zentrum des Landes (Salzburger Gebirgsgaue, Obersteiermark, Osttirol, Oberkärnten) lediglich sehr schwach positive Langfristtrends auf.

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Abb. 2: Entwicklung der jährlichen Niederschlagssumme im Westen (blau), Norden (grün), Südosten (rot) und im inneralpinen Bereich (orange) Österreichs 1813/58–2023. Dargestellt sind geglättete Trends (21-jähriger Gauß’scher Tiefpassfilter) der jährlichen Abweichungen vom Mittel der Jahre 1961–1990 (dicke Linien) sowie die linearen Trends (dünne Linien; Auer u.a. 2007 aktualisiert).

Starke jährliche Schwankungen im Vergleich zum Trend

Gerade bei den Niederschlagszeitreihen soll allerdings auch auf die geringe Größenordnung der Langfristtrends hingewiesen werden. Die Schwankungen der geglätteten Kurven in den gezeigten Abbildungen bewegen sich durchwegs in einer relativ schmalen Bandbreite von ±10 %, während die Einzeljahre im Extremfall zwischen weniger als 60 % und mehr als 140 % pendeln. Diese markanten Unterschiede zwischen Langfristtrends und Kurzfristvariabilität sollte man immer im Gedächtnis haben, um nicht dem beliebten Fehler zu verfallen, von einem extremen Jahr gleich auf langfristige Veränderungen zu schließen. Im Hinblick auf den Klimawandel interessieren die Langfristtrends, also die geglätteten Kurven in den dargestellten Zeitreihen.

Um den Wasserkreislauf in seiner bisherigen Balance zu halten, müssten die Jahresniederschläge in unserem Temperaturbereich um etwa 7% pro Grad Erwärmung zunehmen. Insbesondere im beschleunigten Erwärmungstrend seit den 1990er-Jahren haben sich Temperatur- und Niederschlagsentwicklung allerdings erheblich voneinander entkoppelt. Gleichzeitig wurde die Verdunstung durch deutlich positive Trends der Sonnenscheindauer erhöht. Dazu tragen weitere Änderungen, die sich nicht in den jährlichen Niederschlagsbilanzen abbilden, zu einer Zunahme unmittelbarer Abflüsse auf Kosten einer verringerten Speicherung von Niederschlagswasser im Boden bei: eine Neigung zu höheren Niederschlagsintensitäten bei gleichzeitig kürzerer Andauer in einem wärmeren Klima, das immer häufigere Ausbleiben einer Winterschneedecke (deren Niederschlagswasser zum Großteil und gemächlich im Verlauf von Wochen in den Boden sickern würde) sowie – als verschärfender nicht-meteorologischer Faktor – die zunehmende Versiegelung von Flächen und Verdichtung landwirtschaftlich genutzter Böden. All diese Umstände führen trotz scheinbar wenig auffälliger Niederschlagstrends vermehrt und verstärkt zu Problemen durch Trockenheit und Dürre, ganz besonders in den flachen Regionen Ostösterreichs und im Sommer.

Die beschriebenen Unsicherheiten bei der physikalischen Beschreibung des Niederschlagsverhaltens setzen sich bei der Simulation zukünftiger Klimaverhältnisse fort. Allerdings entsprechen die beschriebenen Langfristtrends der Vergangenheit in ihren jahreszeitlichen und regionalen Ausformungen in etwa dem, was Modellläufe regionaler Klimamodelle auch für das 21. Jahrhundert zeigen.

 

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