Extremwerte

Lässt sich in den Messdaten eine Zunahme extremer Klimaschwankungen ablesen oder wird dieser Eindruck nur von den Medien suggeriert?

Wird das Klima tatsächlich immer extremer?

In der Klimawandeldiskussion wird oft eine bereits stattfindende Zunahme der Klimavariabilität unterstellt: „Das Klima wird verrückter.“ Es folgt eine rationale Annäherung an die Frage wie Extremereignisse überhaupt entstehen können, ob das Klima gegenüber früher generell extremer geworden ist und ob das eine Folge des anthropogen verstärkten Treibhauseffektes ist.

Die wichtigsten und häufig verwendeten Maßzahlen, um das Klima eines Ortes oder einer Region zu charakterisieren, sind Mittelwerte meteorologischer Größen wie etwa der Temperatur, des Niederschlages oder des Windes. Eine vollständige Betrachtung schließt jedoch nicht nur den mittleren Zustand des Klimas, sondern auch seine Variabilität – die Schwankungsbreite – und daraus folgende Extremereignisse mit ein. Das menschliche Leben hat sich bestmöglich den Klimamittelwerten angepasst. Je weiter der atmosphärische Zustand vom Klimamittel abweicht, desto unbequemer, schadensbringender und in letzter Konsequenz sogar lebensgefährlicher können die Folgen davon werden. Die größten Gefahren eines sich wandelnden Klimas liegen nicht in der Verschiebung von Mittelwerten, sondern in der damit verbundenen Verschiebung von Extremen.

Extremereignisse treten von Natur aus mitunter nur sehr kleinräumig und kurzzeitig auf. Entsprechend ist es – im Vergleich zu Mittelwerten – deutlich schwieriger, repräsentative Messdaten von Extremen zu erhalten und durch eine Homogenisierung, also eine Bereinigung um allfällige systematische Fehler, auch ihre hohe Qualität sicherzustellen.

Da Verschiebungen von Extremen sowohl durch Trends von Mittelwerten als auch durch mögliche Änderungen der Variabilität gesteuert werden (s. Abb.1), überlagern sich daher auch die Unsicherheiten dieser beiden Komponenten.

Aus diesen beiden Absätzen folgt: Je großräumiger und langandauernder ein Extremereignis auftritt, desto besser messbar ist es, desto stärker treten Trends im Vergleich zur natürlichen Variabilität hervor, und desto eher lassen sich daher Aussagen über Trends treffen. Wir können also beispielsweise sehr sichere Aussagen über Hitze- und Kältewellen treffen, weniger sichere über Dürreperioden oder flächige Starkniederschläge, und nur sehr vorsichtige über Stürme oder lokale Starkniederschläge.

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Abb. 1: Die Auswirkung von Veränderungen der Temperaturverteilung auf Extreme (IPCC 2012).

Die Zunahme von Hitzewellen im Sommerhalbjahr und eine Abnahme von Kältewellen im Winter durch die anthropogene Erwärmung der Atmosphäre übersetzen sich in die Monatsdaten von HISTALP. Die Variabilität der Temperatur hat sich in den letzten 200 Jahren in Mitteleuropa nicht systematisch geändert, daher treten auch bei den Tageswerten der Temperatur relativ häufig neue Rekorde nach oben, hingegen nur noch äußerst selten neue Rekorde nach unten auf. Nähere Details finden Sie im Abschnitt Hitze.

Die Summen des Niederschlags haben sich nicht wesentlich geändert, auch wenn sich eine beginnende Verschiebung zu selteneren, aber intensiveren Niederschlägen beobachten lässt (siehe Abschnitt Starkniederschlag) und in einer wärmeren Atmosphäre auch physikalisch plausibel ist. Eine längere Verweildauer bestimmter Wetterlagen macht auch sowohl trockene als auch nasse Extreme des Monatsniederschlags tendenziell wahrscheinlicher. Dieser Trend ist allerdings im Vergleich zur Variabilität noch gering und daher statistisch nicht signifikant. Nähere Details finden Sie im Abschnitt Niederschlag.

Noch mehr von einer vielfachen Überlagerung von Zyklen und anderen Mustern der Wetterlage hängt die Häufigkeit von Stürmen ab. Eine Rekonstruktion des langjährigen Sturmklimas aus Luftdruckmessungen zeigt unregelmäßige Schwankungen, jedoch keinerlei Trends. Nähere Details finden Sie im Abschnitt Stürme.

Von Gewittern und damit verbundenen Extremen wie lokalen Starkregen, Hagel, Fallwinden oder Tornados lassen sich noch keinerlei direkte Trends ermitteln, weil sich diese kleinräumigen Ereignisse weitgehend den Messungen entziehen. Physikalische Überlegungen legen eine Zunahme in einem wärmeren Klima nahe, allerdings hängt das Vorkommen dieser Phänomene stark von der Häufigkeit „fördernder“ oder “unterdrückender“ Wetterlagen ab. Nähere Details finden Sie im Abschnitt Starkniederschlag.

 

Literatur:

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