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03.01.2013

Vor 140 Jahren – Erdbeben vom 3. Jänner 1873

Am 3. Jänner 1873 ereignete sich kurz vor 19 Uhr ein Erdbeben der Stärke I0=5-6° mit dem Epizentrum in Eichgraben. Dieses Beben ist in der Literatur u.a. fälschlicherweise auch als Himmelhof/ Wienerwald-Erdbeben zu finden. Erstmals nannte der Wiener Geologe Eduard Suess die Lokalitäten „am Hummelhofe und im Eichgraben“ im Zusammenhang mit dem 1873-er Beben. Beim „Hummelhof“ handelte es sich um einen Hof in Hinterleiten bei Eichgraben, die Bezeichnung Himmelhof ist daher falsch.

Im Jahr 1874 publizierte Eduard Suess in den Denkschriften der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften seine gesammelten Recherchen über das Erdbeben. Einerseits erließ Suess nach dem Beben eine öffentliche Aufforderung, auf die zahlreiche Berichte u.a. aus der Bevölkerung folgten, andererseits bereiste er selbst am nächsten Morgen nach dem Ereignis das Epizentralgebiet. Daraus ergab sich eine umfangreiche Abhandlung.

Suess benutzte Originalnachrichten, die allerdings trotz intensiver Nachforschungen nicht mehr auffindbar sind. Man kann jedoch davon ausgehen, dass der Autor auf Grund seiner fachlichen Kompetenz das ihm zur Verfügung stehende Quellenmaterial objektiv bearbeitete und seine daraus resultierende Publikation, die das Originalmaterial auch enthält, somit als verlässliche und vollständige Quelle eingestuft werden kann.

Aus dem Epizentralgebiet meldet Suess 

„… 1. Haus in Oberndorf. Der Aufsatz eines Rauchfanges, der nahe an dem First eines Ziegeldaches steht, wurde herabgeworfen; ein Theil, und zwar der grössere, fiel auf die Seite gegen Nordnordost und beschädigte im Niederfallen das Dach, der andere Theil fiel in entgegengesetzter Richtung gegen Südsüdwest und liess auch eine Spur des Falles auf dem Dache zurück.

2. Gasthaus im Eichgraben. Eine fast genau gegen West blickende Wand des Tanzsaales ist an ihrem oberen Rande durch einen fortlaufenden Sprung von der Zimmerdecke getrennt; zwei kurze Sprünge laufen nahe der Mitte an ihrer Innenseite von oben herab. Eine gegen Süd blickende Mauer in der Wirthsstube ist ebenfalls durch einen fortlaufenden Sprung von der Zimmerdecke getrennt.

3. In einem anderen Hause in Eichgraben ist eine gegen Ost gerichtete Mauer nicht nur durch einen horizontalen Sprung ihrer ganzen Länge nach von der Decke, sondern auch durch zwei verticale Sprünge von den beiden anschliessenden Querwänden getrennt.

4. Von einem dritten Hause im Eichgraben, welches nur aus schlecht verbundenen Bruchsteinen erbaut ist, wurde ein Eck abgeworfen; dieses Eck war gegen Ostsüdost gerichtet.

5. Das Haus Nr. 3 in Eichgraben ist nach vielen Richtungen von Sprüngen zerrissen; es lässt sich aber nicht genau unterscheiden, welche von denselben schon älteren Ursprunges sind. Das Haus wurde in Folge des Erdbebens bis zur Wiederherstellung der Schäden verlassen.

5. In der Wohnung des Verwalters in der hochgelegenen Villa Wimpffen im Eichgraben wurde eine nach West blickende Mauer an ihrer Innenseite durch einen langen Sprung von der Zimmerdecke abgetrennt und an der Mitte ihrer Innenseite bildete sich ein verticaler Sprung der fast bis zum unteren Rande der Mauer herabläuft.

6. Am Hummelhofe, welcher an dem Gebirgsabhange westlich gegenüber vom Eichgraben liegt, wurde ebenfalls die gegen West liegende äussere Wand an ihrem inneren oberen Rande der ganzen Länge nach durch einen Sprung von der Zimmerdecke getrennt und bildete sich zugleich in ihrer Mitte ein Sprung, welcher bis fast zum unteren Rande der Wand vertical herablief. Das Haus wurde für längere Zeit von seinen Bewohnern verlassen…“

Lokalintensitäten Erdbeben Eichgraben 1873
Die Abbildung zeigt jene Orte, wo das Erdbeben von 1873 verspürt wurde bzw. Schäden verursachte. Die farbigen Symbole geben die Intensität nach der 12-teiligen EMS-98 (Europäische Makroseismische Skala) an.

Der spätere Direktor der k.k. Geologischen Reichsanstalt Guido Stache berichtete

Der Geologe und Paläontologe und spätere Direktor der damaligen k.k. Geologischen Reichsanstalt, heute Geologische Bundesanstalt, Guido Stache berichtete bereits in der Sitzung vom 7. Jänner 1873 ausführlich und detailliert vor allem über die Auswirkungen des Bebens vom 3. Jänner in Wien. Sein Bericht stützt sich auf Augenzeugenschilderungen, die wie bei Suess leider nicht mehr aufzufinden sind. Sein Bericht kann daher quellenkritisch betrachtet, ebenso als wertvoll eingestuft werden, auch wenn es sich beim vorliegenden Text, 1873 in den Verhandlungen der k.k. geologischen Bundesanstalt publiziert, um Literatur und nicht um originales Quellenmaterial handelt. Stache berichtet z.B. vom 3. Wiener Gemeindebezirk:

„… I. Beobachtungsdaten aus dem Rayon der Stadt Wien.

 Bezirk Landstrasse: Geologische Reichsanstalt. Landstrasse, Razumoffsky- Gasse 3. Oberes Stockwerk …

Schwächere und unmittelbar folgende stärkere Erschütterung wenige Minuten vor 7 Uhr Abends, beobachtet von mir selbst und Dr. E. Tietze in meinem Arbeitszimmer und in dem nördlich von diesem gelegenen Bibliotheks-Saal durch Dr. Lenz. - Schüttelnde Bewegung der Decke mit rollendem Dröhnen, oscillirende Bewegung der nördlichen Hälfte des getäfelten Fussbodens in meinem südlich gelegenen Zimmer, Knistern und Krachen der Holzverkleidung der nördlichen Zimmerwand, Schwanken eines hohen Ofenschirmes und pendelartige Schwingung eines daran aufgehängten grossen Planes der Stadt Wien. Das Erzittern der Decke und des Fussbodens, das dröhnende Geräusch und das Krachen des Holzwerkes noch weit heftiger in dem ganz mit Holzschränken, Holzgetäfel und Holzsäulen verkleideten grossen Bibliotheks- Saal. Dauer des ganzen Phänomens etwa 4 Secunden. Wie mir Bergrath Foetterle mittheilt, wurde die Erschütterung auch in seiner dicht an den Bibliotheks-Saal anstossenden Wohnung von seinen beiden Söhnen wahrgenommen. Die Richtung scheint NW gegen SO gewesen zu sein.

Ungargasse 34. Wohnung des Kartographen der geologischen Reichsanstalt E. Jahn. Unmotivirtes Erklingen der Thürglocke zu demselben Zeitpunkt…“

Zeitgenössische Zeitungsnotizen aus der Wiener Abendpost, der Wiener Zeitung und dem „Local-Anzeiger der Presse“ vervollständigen die Nachrichten über das Erdbeben und wurden bei der jüngsten Analyse des Bebens im Rahmen einer größeren Studie über Niederösterreichische Erdbeben (Hammerl 2004 und Lenhardt und Hammerl 2009) herangezogen.

Der „Local-Anzeiger der Presse”, Beilage zu Nr.5. Sonntag den 5. Jänner 1873 meldete:

[Erdbeben.] Gestern den 3. Abends, kurz vor 7 Uhr, wurde in Wien ein leichtes Erdbeben verspürt. Es war so unbedeutender Natur und ging so rasch vorüber, dass die meisten Bewohner Wiens erst im Laufe des heutigen Tages von diesem Ereignisse Nachricht erhielten. So kommen uns heute speciell Mittheilungen aus der Leopoldstadt (Circusgasse), vom Alten Fleischmarkt und aus Hietzing zu, die Gläserklirren, Verrücken von Bildern als Merkmale der stattgehabten Erdstöße anführen. Aehnliche Nachrichten kamen uns aus mehreren Orten des Tullnerbodens zu.

Schlussfolgerungen

Bei diesem Beben besonders hervorzuheben ist, der damalige Leiter des Erdbebendienstes der ZAMG Julius Drimmel wies bereits 1973 darauf hin, die Zone mit deutlich überhöhter Bebenintensität am Nordwestrande des südlichen Wiener Beckens, die sich von Mödling-Wiener Neudorf über Bad Vöslau bis Grillenberg erstreckt. Bereits früher angestellte Überlegungen und Vergleiche mit den Starkbeben von Scheibbs (17.7.1876) und Molln (29.1.1967) führen nach Drimmel (1987) zu dem Schluss, dass die Starkbeben der Jahre 1590 und 1873 mit den vorgenannten Beben „genetisch“ verwandt sind und an einer gemeinsamen, von Eichgraben in Niederösterreich über Scheibbs nach Molln-Klaus in Oberösterreich streichenden, steil einfallenden Tiefenstörung, der sogenannten „Ostalpennordrand-Störung“, liegen (Drimmel und Trapp, 1975 und Drimmel, 1980).

Der Österreichische Erdbebendienst untersucht historische Erdbeben, um die Erdbebengefährdung eines Gebietes genauer bestimmen zu können. Besonders in seismisch weniger aktiven Regionen, ist die Beurteilung historischer Beben wichtig, da Schadensbeben eine große Wiederholungszeit aufweisen.

Die ausgezeichnete Dokumentation dieses Bebens lässt eine Intensitätsbestimmung für ca. 160 von insgesamt ca. 200 Orte zu. Bei diesem Beben wurde die höchste Intensität, neuesten Studien nach, mit 5-6° EMS, im Gegensatz zu früheren 6-7° EMS, abgeschätzt. Das Epizentrum wurde bei Eichgraben (48,16 / 15,99) festgelegt, die Epizentralintensität mit I0 = 5-6° EMS, die Herdtiefe mit 10 km und die Magnitude mit 4,0 abgeschätzt, der wahrscheinliche Fehler des Epizentrums beträgt Rerr = 18 km.

 

Österreichischer Erdbebendienst
christa.hammerl@zamg.ac.at

Literatur:

Drimmel, J. und Trapp, E.: Das Starkbeben am 29. Januar 1967 in Molln, Oberösterreich, in: Mitteilungen der Erdbeben-Komm., N.F. 76 (Wien 1975).

Drimmel, J.: Rezente Seismizität und Seismotektonik des Ostalpenraumes, in: Oberhauser, R. (wiss.Red.): Der geologische Aufbau Österrreichs (Springer Verl. Wien-New York 1980) S.505-527.

Drimmel, J. und Lukeschitz, G.: Makroseismische Neubearbeitung der sogenannten „Neulengbacher“ Beben der Jahre 1873, 1875 und 1895, in: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, math.naturw.Klasse, Jg.1986, Nr.7 (Wien 1986) S.105-111.

EMS-98 Europäische Makroseismische Skala siehe:http://www.gfz-potsdam.de/portal/gfz/Struktur/Departments/Department+2/sec26/projects/04_seismic_
vulnerability_scales_risk/EMS-98

Hammerl, Ch.: Historische Erdbebentätigkeit in Niederösterreich. Projekt der Niederösterreichischen Landesregierung. Projektbericht Phase I. NC 59-2003, BD1-G-5100/9-2003 (2004).

Lenhardt, W. und Ch. Hammerl: Seismologische Analyse historischer Erdbebeninformation aus Niederösterreich seit 1000 n.Chr. Projekt der Niederösterreichischen Landesregierung. Endbericht NC 65-2006, BD1-G-5101/001-2006 (2009).

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